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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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Dörfer liegen vereinzelt in den Hainen, die nächste Autobahn verdunstet gen Süden im Rauchgas. Auf ihr überquert keiner mehr das Tal. Ansonsten strahlt die Niedlichkeit wie vor zehn Jahren beruhigend auf den Berg. In der Ferne meine ich Amhausen zu erahnen, wie eben Wünsche Bilder füllen. Ich packe die letzte Ration aus und schneide den Speck in dünne Scheiben. Für diesen Moment habe ich sicher zwei Gläser Wein gespart. Es werden die letzten sein. Mir ist feierlich zumute. Ich esse den Speck zusammen mit Brot und Apfel, süß und salzig verschmelzen zu Himmel und Erde, das Fleisch deiner Väter und Mütter sollst du essen.
    Ich schaue Wolken, bin anders eins mit der Welt, tiefer und höher, klarer, besser irgendwie, atme ruhiger, gleichmütig, mein Blick schwebt mit, im Himmel, ist doch alles nur Theater, klatscht mit nach der Vorstellung, liege in mir, alles verschwindet, gleich kommt es wieder, ob man mir träumt oder ich träume? Leiser, Via Nuvola, zur Hütte, die stand allein auf weiter Flur und sang komische Lieder:
    Alles verschwindet, gleich kommt es wieder.
    Das langweilt. Der Wind zieht hinaus, mit Mensch und Vieh und Korn, mit allem, sogar der Zeit, die alles besitzt. Das Vergangene glitzert lustig in Mond und Sternen. Sie aber durfte nicht glitzern, sie faulte und stank seit alters an gleicher Stelle. Da überfiel sie die Wehmut und sie knarzte leise im Wind:
    Alles verschwindet, gleich kommt es wieder, mein Kind.
    So gingen die Jahre endlos ins Land. Ihr Holz wurde alt und spröde, sie bekam Risse und Ritzen. Die wurden geflickt, doch säuselte bald wieder aus allen Ecken:
    Alles verschwindet, gleich kommt es wieder mit Schrecken.
    Eines Frühjahrs schließlich kam ein Mädchen mit Haaren wie Gold, Eisaugen hatte das und Lippen rot wie Glut und eine Jacke aus Wolle wie Schnee. Das lehnte sich an sie und machte sich schmutzig und weinte bitter, und wie es so weinte, da sagte es zur Hütte, und lieb musst du sein und sie besonders gut schützen, denn sie brauchen mehr, flüsterte sie zuletzt, und die Hütte verstand, obwohl sie es nicht verstand.
    Nie hatte sie ein so strahlendes Mädchen gesehen und sie hielt es für eine Elfe, von Sommer und Winter und Himmel und Erde geschickt, und meinete, man müsse ihm Glauben schenken, und die Hütte hatte recht, obwohl sie unrecht hatte.
    Sie riss sich also am Holz, der Mörtel hielt jetzt viel besser in den Ritzen, die Kinder wurden gesünder und konnten ihren Eltern bald einen Stall fürs Vieh bauen.
    Da stank und faulte sie selbst im Winter weniger. Und sie sah, wie sich die Menschen gesünder und glücklicher in ihr scharten. Und die Hütte war es zufrieden. An manch stillem Winterabend jedoch, wenn das Vergangene in Mond und Sternen lustig im Schnee glitzerte, knarzte ihre Sehnsucht leise im Wind:
    Alles verschwindet, gleich kommt es wieder, mein Kind.
    Wieder gingen die Jahre ins Land, bis eines Sommers ein kleiner Junge sich an sie lehnte. Der hatte Haare wie Silber und Augen tief wie Meer und eine Jacke wie Wassergras. Der lachte bitter, und wie er so lachte, da sagte er zur Hütte: Und gut musst du sein und sie besonders tief begraben, und die Hütte verstand, obwohl sie es nicht verstand.
    Noch nie hatte sie einen so strahlenden Jungen gesehen, sie hielt ihn für einen gerechten Prinzen, von Frühjahr und Herbst und Himmel und Erde geschickt, und sie meinete, man müsse ihm Glauben schenken, und die Hütte hatte recht, obwohl sie unrecht hatte.
    Sie riss sich also am Holz, dass der Mörtel aus den Ritzen bröckelte, dass es gar schaurig knarzte und knirschte. Den Menschen ward grauselig zumute, nur die Geschichten und Märchen ihrer Mütter und Väter trösteten sie. Da beruhigten sie sich und alles war gut.
    Im nächsten Winter aber, als das Vergangene in Mond und Sternen lustig im Schnee um die Wette glitzerte, fiel sie ohne Vorwarnung mit einem Plumps in sich zusammen und begrub seufzend Mensch und Maus unter sich.
    Da lag sie nun, durcheinander wie damals, als sie aus dem Wald geschnitten wurde. Blut floss zwischen den Balken und sie wusste nicht, ob es ihres war. Da weinte sie bitter und wollte am liebsten zu Staub und Asche verbrennen aus Wut auf sich selbst, und die Hütte hatte wieder recht, obwohl sie unrecht hatte.
    Endlos, nass und grau schien die Zeit, bis eines Herbstes ein Mann vorbeikam, scharf geschnittene Haare und Stimme hatte der. Der Mann weinte und lachte, sagte aber nichts, beinahe meinte sie, er schreie nur wahnsinnig,

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