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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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im Gemäuer einer Menschheitserzählung nur mit Gewalt begradigt werden.
    Damals klammerten wir uns an etwas, das wir aufgeklärten Hedonismus nannten, wohl die Verblendung verzweifelter Zivilisten auf Kamikazemission, brauchten das Leben egozentrisch, als Projektionssammlung rotstichiger Bilder, harmlos wie ein Kinofilm, der eben neunzig Jahre dauert, alles gleich. Dann dachte ich: So schlimm ist die Gesamtsituation nicht, sie ist schlimmer. Einfacher zu ändern, als uns gesagt wird, aber auch. Und wir spielten Sisyphos, strampelten wild nach Veränderung im wohligen Kokon der überlegenen Gesellschaft. Es ist leicht, im Mutterleib sein Leid zu klagen.
    inkonsequenz, letzte freiheit
    gib dich dem leben hin
    ohne gestern, ohne morgen
    jetzt.
    Der Kopf wabert und drängt weiter. Von Revolution, Veränderung, Wahnsinn schwadronierten, verzweifelt versuchten wir das                 in uns zu füllen, mit Bildern verklärt lächelnder Menschen. Ich wische sie beiseite. Es wird die Aufregung sein, denke ich. Es hilft nichts. Trotzig wie ein Kind weint sich’s in die Brust.

The White Flash von Modeselektor, sphärische Bässebrandung in der Küche. Der Wasserkocher brodelt sich zum Siedepunkt. B wechselt zu TV on the Radio, das Lied mit David Bowie, wie hieß das noch mal, verdammt, doch, genau, Province . Er düdelt mit:
    Suddenly, all your history’s ablaze
    Try to breath, as the world desintegrates
    Just like autumn leaves, we’re in for change
    Holding tenderly to what remains
    And all your memories are as precious as gold
    And all the honey, and the fire which you stole
    Have you running through all your red-cheeked days
    Shaking loose these souls, from their sacred hiding
    space
    Die Teebeutel saugen sich träge unter die Wasseroberfläche. B legt ihm die Hände von hinten auf den Bauch, streichelt sich hoch zur Brust, in der es seine Pumpe gerade ein bisschen zu bunt treibt. Naïn dreht sich um, umarmt sie, zuletzt legt er ihr die Lippen auf die Stirn, Abschied denkt, Begrüßung fühlt er. Er schaut zum Fenster. Auf der Arbeitsfläche darunter ein Sushimesser. Die Wintersonne blitzt fröhlich auf der Schneide.

Bestiarium, Idyllen, Visionen verlorener Schlachten auf dem Feld der Utopie. »Von Walton Ford ist das Bild«, sagt B, als hätte er das nicht gewusst. Nur den Namen hatte er vergessen. Lucard spielt in der rechten Salonecke auf einer Récamiere mit zwei bildhübschen Brünetten. Sie dürften kaum zwanzig sein. Zu Naïns Linker verlustieren sich drei ähnlich Schöne Hirn und Nase an einem Silbertablett. Um sie herum flirren vier Hektiker. Coci sniffe’ isch besser als kiffe’. Kurz verflucht er die Verkleidung, ein flüchtiger war der Triumph gewesen, sein Kopf ein lustiges Nest, Silberfische in dunklen Ritzen, es kreucht und fleucht, oben und unten, fast muss er jauchzen, er trinkt einen tiefen Schluck von Bs Weißwein.
    Vor ihm ein Sammelsurium der Triebe, salzig, mit süßsaurem Nachgeschmack, er will Erde, Wasserblut vergießen, als erwüchsen Weintropfen blaublütige Kelche. »Mir ist schwummerig«, sagt er zu B. Sie greift seinen Arm und setzt ihn auf den weißen Panton-Freischwinger, dessen Plastik brüchig wirkt. Sein Herz rast, müde, aller Energie entzogen, er muss die Augen zupressen, um nicht vom Stuhl zu fallen. Der Ohrendruck klingt wie ein Flammenwerfer.

Sie kommt vor, die Lust zu sterben. Ein schlichtes Gefühl. Nichts von überragender Gefühlswallung – nur müde Überzeugung, es einfach zu lassen. Morgens im Taxi, nach einer schön durchfeierten Nacht zum Beispiel, auf der Rückbank neben dir C, auf dem Beifahrersitz ›Das Mädchen dem C in siebenundvierzig Minuten auf die Titten abspritzen würde‹. Eisschollen auf der Spree, die Warschauer Brücke trieb dir als wachsweicher Steinrahmen im zubetonierten Fluss. Du wolltest gern reinspringen. Surreal wirkte das Bild, in der Schwebe, wie du selbst.
    Du reißt mir
    das Herz raus,
    springst drauf rum,
    du tust mir leid dabei
    schriebst du in der SMS. Und sie:
    Du musst das
    akzeptieren.
    Es ist vorbei
    und du:
    Das tue ich,
    kann es nicht.
    Madame Claude die Bar, Joes Geburtstag, Ablenkung, auf die Französinnen hattest du dich gefreut. Seit sieben Tagen war Schluss. Da saß sie da, überwirklich, Standardabweichung unheimlich groß, wie vor Jahren auf der Fusion, als ihr euch unter 80 000 Drogenseligen um halb drei Uhr nachts traft. Da wart ihr vier Monate getrennt, da war der Sex besonders wild gewesen.
    Du

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