Der Clown ohne Ort
würden sie also als Trauerclowns zweier tödlicher Verkehrsunfälle verkleidet durch die Gegend staksen. Er stellt sich vor den Spiegel und fühlt sich wohl. Er war zurzeit nicht besonders empfänglich für defätistische Tendenzen.
Die Sonne dringt jetzt schwächer durch den Nebel, weichscharfe Düsternis, nicht leicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Zäune, Gemäuer, Gärten und Häuser treiben in der Idylle stumm an ihnen vorbei. Vereinzelt brennt Licht. Naïns Gedanken drehen sich um Politik und Krisen. Das Wer und das Wohin schon wieder. Perfekt wird es nie werden, besser nur, hoffentlich. Die Zeit der großen Träume ist vorbei.
»Was murmelst du da?«, fragt B.
»Was? – Ach, ich denke nur laut. Nichts Besonderes.«
»Wegen deiner Sachen?«
»Wahrscheinlich.«
Er schweigt weiter: mit Allgemeinsätzen ins Unmögliche verklärt, der Realität enthoben – im Interesse der Sache wurde ihre Freiheit geplündert, die Ökonomie fanatisch als Primat des Menschen installiert. Die Liebe würde es richten. In dieser Hinsicht ließ er sich nicht mehr desillusionieren. Pragmatismus stellte er nicht infrage, nur die Praxis. Reach out, touch faith! Your own personal Jesus hatten sie damals im Verbindungshaus in Bayreuth gespielt. Er war bei Markus zu Besuch. Der wohnte da billigst für ein Jahr. Die Franconia feierte unten Weinheimtagung. Markus drehte die Musik laut, bis in das furchtbare Popmusikeinerlei der farbentragenden Graureiher zwei Stockwerke runter. Und dann noch Master and servant und Enjoy the silence . An diesem Abend waren die Joints besonders stark gewesen. Es ist schön, schweigend neben B zu laufen, denkt er.
Er dreht sich eine Zigarette, sich aufmuntern und beruhigen. Andere Chemie, anderes Plastik, weniger Öl, Gas und Strom, weniger Fleisch und Fisch vielleicht. Keine tausend großen, bloß eine kleine in sich selbst brauchten sie. Banalität der Weltrettung. Und er sollte weniger saufen, rauchen und Drogen nehmen. Und die Probleme nicht immer nur bei sich suchen. Ich werde mein Paradies finden, denkt er.
Eine Art Freiheit fährt ihm schamlos in die Glieder. Das Klopfen eines Spechts hallt aus der Ferne, er meint eine Bahn zu hören, Motorheulen, weit entfernt alles, Berlin hat seinen ganz eigenen Rhythmus hier, reserviert, bedacht, beäugt die Häuser aus den Dreißigern, spießiger als in Bs Straße. Naïn fühlt sich beobachtet und schnippt den Kippenstummel in den erstbesten Vorgarten. Herbstruhe in Dahlem. Inzwischen queren sie die U 3. Feinastige Platanen mit Regenknospen stehen Spalier, gelegentlich fährt ein Auto vorbei, Abblendlicht, das wird ein schöner Laubengang, hoffentlich schneiden sie nicht die Bäume dürr. Man könnte meinen, er sei glücklich.
Lieblich, geerdet war ich, wie das Kinder hügeliger Landschaften sind. Das Salzige, Rohe, Herbe des Meeres hatte ich erst in späteren Wanderjahren schätzen gelernt. Es zeichnete meine Züge mit – das Gelassene, die rohe Süße der Augen, in sich selbst, in Zeit sein; vielleicht war das die größte Gemeinsamkeit gewesen. Auch L fand im Symbolhaften ihr Kontinuum, Raum für Interpretation, Gedankenwiesen. Ich stehe auf und ritze L & O in die Rinde, dieses Mal auf die südliche Seite. Ich schneide in die Borke, wie verbranntes Backpapier splittert sie ab, leicht gleitet die frisch geschärfte Klinge weiter in den Stamm, als ritzte ich – der Stich, zeitverschoben ein Knall, dumpf wie ein Sack falle ich um, der Stein, mein Kopf, die rechte Schulter … L, wie sie weinend unter mir … es verschleiert.
Das Tageslicht dringt hart durch meine Lider, aus meiner rechten Schulter lodert der Schmerz tief in den Leib, schärft beißend Flammenwellen in die Schläfen ein, ich höre Stimmen, stumpf, irrend, es greift um mich, zerfasert mir den Leib, ich zerreiße, möchte schreien, es zusammenhalten, verkrampfe in klirrende Kälte; Ruhe jetzt, tiefes Stöhnen, Röcheln fast, ich werde abgetastet und durchsucht. Vorhang!
Vorhang auf!, ruft der Matrose, mein grellegant verkleideter Conférencier. In Platzperlen travestierte Dramen, ein Frosch fänd hier sein bunt beflortes Paradies, fette Schmeißfliegen im Circus: Das Brett schwingt die Artisten übers Ziel hinaus, Splitterflügel, dörrer Körper, der Aufprall nur ein leises Knirschen. Die Hitze glüht ins blauäugige Metall. Streck und reck dich! L, wie sie weinend unter mir liegt. A. Zehn Jahre alt wäre sie jetzt. Vorhang auf!, ruft der Matrose stolz ins Theaterrund, Vorhang
Weitere Kostenlose Bücher