Der Club der unsichtbaren Gelehrten
das überhaupt nicht. Es ist vielmehr der Ort, an dem die Leute aufgehängt wurden, und wenn sie aus dem alten Gefängnis, das dort drüben gestanden hat, herausspaziert kamen, sah der Priester, der in seinen wallenden Roben der Prozession voranging, aus, als führte er die Reihe der Verurteilten und der Gefängniswärter an wie eine Henne ihre Küken. So etwas nennen wir hierzulande einen eigenwilligen Sinn für Humor, und ich habe nicht die geringste Ahnung, warum ich überhaupt mit dir rede. Ich habe mich redlich bemüht. Jetzt weißt du mehr als jeder andere Krebs.«
Sie ging weiter bis zum Rand der Brühe, die den Fluss auf seinem Weg durch die Stadt durchströmte, und ließ den Krebs hineinfallen. »Halte dich von Krebskochtöpfen fern und komm nie wieder zurück.« Als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass die Zauberer sie beobachtet hatten. »Und?«, fuhr sie die beiden an. »Gibt es vielleicht auch ein Gesetz, das einem verbietet, sich mit Krebsen zu unterhalten?« Dann lächelte sie ihnen kurz zu und ging an ihnen vorbei.
Als sie durch die langen Korridore wieder ins Kerzengewölbe ging, fühlte sie sich ein wenig schwindelig. Einige Höhlenbewohner beäugten sie ängstlich, als sie vorüberkam, aber nirgendwo war eine Spur von Nutt zu sehen, auch wenn sie überhaupt nicht nach ihm Ausschau hielt. Sie ging weiter zur Nachtküche und begegnete plötzlich Trev und Juliet. Glenda fiel sofort auf, dass Juliets Augen irgendwie strahlten und dass sie insgesamt ein bisschen aufgewühlt aussah. Das lag daran, dass sie es sich zum Prinzip gemacht hatte, so etwas jedes Mal zu bemerken. Quasi-elterliche Verantwortung war eine schreckliche Sache.
»Was macht ihr denn noch hier?«, fragte sie.
Die beiden blickten sie an, und in ihren Gesichtern war mehr zu lesen als reine Verlegenheit.
»Ich bin zurückgekommen, um mich von den Mädchen zu verabschieden, und ich musste auf Trev warten, weil er beim Training war.«
Glenda setzte sich. »Machst du mir bitte eine Tasse Tee?« Und weil alte Gewohnheiten sich nur schwer ablegen lassen, fügte sie hinzu: »Setz einen Kessel mit Wasser auf den Herd, zwei Löffel Tee in die Kanne. Wenn das Wasser kocht, gießt du es in die Kanne. Den Tee nicht in den Kessel.« Dann wandte sie sich an Trev. »Wo ist Herr Nutt?«, fragte sie betont unbekümmert.
Trev schaute auf seine Fußspitzen. »Ich weiß es nicht, Glenda«, sagte er. »Ich war …«
»Beschäftigt«, beendete Glenda den Satz.
»Aber ohne Techtelgemechtel«, sagte Juliet rasch.
Glenda wurde klar, dass es ihr in diesem Moment egal gewesen wäre, ob es Techtel oder Gemechtel oder sonstwas gegeben hatte. Es gab wichtige und es gab unwichtige Dinge, und es gab Zeiten, zu denen einem der Unterschied klar war.
»Wie ist es Herrn Nutt also ergangen?«
Trev und Juliet sahen einander an. »Das wissen wir nicht. Er ist nicht da gewesen«, sagte Trev.
»Wir haben gedacht, er ist vielleicht bei dir«, sagte Juliet und reichte Glenda eine Tasse mit etwas, das man bekommt, wenn man jemanden um eine Tasse Tee bittet, der das Rezept auch in einem guten Moment gerne mal durcheinanderbringt.
»War er denn nicht im Großen Saal?«, fragte Glenda.
»Nein, da war er nicht … Warte mal.« Trev rannte die Treppe hinunter, und nach kurzer Zeit hörten sie seine Schritte wieder heraufkommen. »Sein Werkzeugkasten ist weg«, sagte Trev. »Viel ist da eh nicht dringewesen. Er hat ihn aus irgendwelchen Resten zusammengestellt, die er im Keller gefunden hat, aber soweit ich weiß, war das alles, was ihm gehört hat.«
Ich wusste es, dachte Glenda. Natürlich wusste ich es. »Wo kann er denn sein? Er kann doch sonst nirgendwo hin?«, sagte sie.
»Es gibt da einen Ort in Überwald, von dem er ziemlich oft erzählt hat«, sagte Trev.
»Das dürfte ungefähr tausend Meilen von hier entfernt sein«, sagte Glenda.
»Na ja, wahrscheinlich denkt er, dass er ebenso gut dort sein kann wie hier«, sagte Juliet unschuldig. »Ich meine – Ork! Ich würde schon vor so einem Namen wegrennen, wenn ich ich wäre.«
»Hört mal, ich bin mir sicher, dass er einfach nur in einen anderen Teil dieses Gebäudes gegangen ist«, sagte Glenda und glaubte kein einziges ihrer Worte. Aber wenn ich glaube, dass er bloß um die nächste Ecke gegangen ist oder sich irgendwo verkrümelt hat, um … sich die Nase zu pudern oder einfach um mal eine halbe Stunde spazieren zu gehen, wozu er natürlich alles Recht der Welt hat, oder vielleicht muss er sich ein Paar neue
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