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Der Club der unsichtbaren Gelehrten

Der Club der unsichtbaren Gelehrten

Titel: Der Club der unsichtbaren Gelehrten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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zweitausend Jahre lang jede Nacht eine neue dicke Kerze an den flackernden Resten der vorangegangenen anzündet und sie fest in das noch warme Wachs drückt. Inzwischen war natürlich längst kein Kerzenhalter mehr zu sehen. Der befand sich irgendwo in der gewaltigen Ansammlung wächserner Tropfen im darunter liegenden Stockwerk.
    Vor ungefähr eintausend Jahren hatte die Universität ein großes Loch in die Decke des Korridors darunter sägen lassen, und schon jetzt maß der Kaiser hier oben mehr als fünf Meter in der Höhe. Insgesamt handelte es sich um zehn Meter reinen, natürlichen Tropfkerzenwachses. Das machte Schmiers sehr stolz. Er war der Hüter der Kerze, die niemals ausging. Sie war jedermann ein Beispiel, ein Licht, das niemals versiegte, eine Flamme in der Dunkelheit, ein Leuchtfeuer der Tradition. Denn die Unsichtbare Universität nahm die Tradition sehr ernst, jedenfalls dann, wenn sie sich daran erinnerte. So wie jetzt, wo doch tatsächlich …
    Von irgendwo aus der Dunkelheit kam ein Geräusch, als wäre jemand auf eine sehr große Ente getreten, danach ertönte ein lautes: »Ho, der Megapode!« Dann brach die Hölle los.
    Ein … Untier kam aus der Dunkelheit herausgesprungen.
    Es gibt diesen Ausdruck »weder Fisch noch Fleisch noch guter roter Hering«. Dieses Ding war alles auf einmal, und dazu noch etliche Teile von anderen Viechern, wie sie bislang weder Wissenschaft, Albtraum noch Kebab-Spieß kannten. Jedenfalls war etwas Rotes im Spiel und heftiges Geflatter, und Nutt war sicher, irgendwo eine übergroße Sandale gesehen zu haben, aber da waren auch diese irre verdrehten, rollenden Augen, der riesige gelbrote Schnabel, und dann verschwand das Ding auch schon wieder in einem anderen dunklen Korridor, wobei es unablässig dieses langgezogene, hupende Geräusch von sich gab, das auch Entenjäger ausstoßen, kurz bevor sie von anderen Entenjägern erlegt werden.
    »Aho! Der Megapode!« Es war nicht ganz klar, woher der Ruf kam. Er schien von überallher zu kommen. »Dort trampelt er! Ho, der Megapode!«
    Der Schrei wurde von allen Seiten aufgenommen, und aus der Finsternis sämtlicher Korridore, mit Ausnahme desjenigen, in den das Ungetüm geflohen war, kamen seltsame Gestalten galoppiert, die sich im flackernden Licht des Kaisers als die ranghöchsten Zauberer der Universität entpuppten. Jeder Zauberer wurde von einem kräftigen, mit einer Melone behüteten Dienstmann der Universität huckepack getragen, den er, so wie es die Tradition verlangte, mittels einer an einer Schnur und einem langen Stock vor die Nase des Dienstmanns gehaltenen Flasche Bier vorantrieb.
    Das klagende Quaken ertönte wieder, diesmal aus einiger Entfernung, und ein Zauberer fuchtelte wild mit seinem Zauberstab in der Luft herum und schrie: »Vogel entflogen! Ho, der Megapode!«
    Schubsend und drängelnd machten sich die Zauberer, die Schmiers’ klapprige Leiter bereits unter den beschlagenen Stiefeln ihrer Reittiere zermalmt hatten, sofort an die Verfolgung, wobei ein jeder mit allen Mitteln versuchte, als Erster in die richtige Richtung zu traben.
    Eine Weile hallte noch das »Aho! Der Megapode!« aus der Ferne heran. Als Nutt sicher sein konnte, dass sie weg waren, kroch er aus seinem Versteck hinter dem Kaiser hervor, hob das, was von der Leiter übrig war, auf, und schaute sich um.
    »Meister?«, rief er vorsichtig.
    Von oben kam ein Grunzen. Nutt blickte hinauf. »Alles in Ordnung, Meister?«
    »Mir ging’s schon besser, Nutts. Kannst du meine Füße sehen?«
    Nutt hob die Laterne ein Stück höher. »Ja, Meister. Tut mir leid, aber die Leiter ist kaputt.«
    »Dann kümmere dich drum! Ich muss mich darauf konzentrieren, dass meine Hände nicht abrutschen.«
    »Ich dachte, ich werde nicht fürs Denken bezahlt, Meister.«
    »Jetzt fang bloß nicht an mit Klugscheißen, ja?«
    »Darf ich versuchen, klug genug zu scheißen, um Sie von dort oben runterzuholen, Meister?«
    Die gestrenge Antwort war Schweigen. Nutt machte seufzend die große Werkzeugtasche aus Segeltuch auf.
    Schmiers klammerte sich an die schwindelerregend hohe Kerze und hörte von unten geheimnisvolles Scharren und Klirren. Dann schob sich, ganz plötzlich und so geräuschlos, dass es ihm vor Schreck den Atem verschlug, ein spitziges, ein wenig schwankendes Etwas neben ihn.
    »Ich habe drei der langen Kerzenlöscherstangen aneinandergeschraubt, Meister«, sagte Nutt von unten. »Ganz oben steckt ein Kronleuchterhaken dran, sehen Sie? Und daran hängt

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