Der Club der unsichtbaren Gelehrten
ein Seil. Sehen Sie’s? Wenn Sie damit eine Schlinge um den Kaiser legen, dürfte es nicht sonderlich verrutschen, und Sie können sich bequem daran herunterlassen. Ach ja, eine Schachtel Streichhölzer ist auch dabei.«
»Wozu das denn?«, fragte Schmiers, während er nach dem Haken angelte.
»Mir ist aufgefallen, dass der Kaiser ausgegangen ist, Meister«, antwortete die heitere Stimme von unten. »Nein, er ist nicht ausgegangen!«
»Schauen Sie doch noch mal nach, Meister, denn ich kann von hier kein …«
»Wir haben in der allerwichtigsten Abteilung dieser Universität absolut keinen Platz für Leute mit schlechten Augen, Nutts!«
»Bitte vielmals um Entschuldigung, Meister. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf gekommen bin. Jetzt sehe ich die Flamme ganz deutlich!«
Von oben war zu hören, wie ein Streichholz angerieben wurde, und als die Kerze, die niemals ausgeht, wieder angezündet wurde, breitete sich ein Kreis gelblichen Lichtes unter der Decke aus. Kurz darauf seilte sich Schmiers sehr behutsam zum Fußboden ab.
»Gut gemacht, Meister«, sagte Nutt.
Der Kerzenknappe schnippte ein Stück hart gewordenes Kerzenwachs von seinem ebenso schmierigen Hemd.
»Na schön«, sagte er, »aber du musst morgen früh noch mal herkommen und dich um …« Aber Nutt kletterte bereits wie eine Spinne am Seil hinauf. Von der anderen Seite der großen Kerze ertönte ein Scheppern, als die Kerzenlöscherstangen hinuntergeworfen wurden, dann seilte sich der Junge mit dem Haken unter dem Arm wieder zu seinem Meister ab. Nun stand er ganz Eifer und Tüchtigkeit (wenn auch ziemlich schlecht angezogen) vor ihm. Das hatte etwas geradezu Anstößiges, und so etwas war der Kerzenknappe nicht gewohnt. Er fühlte sich bemüßigt, den Burschen zu seinem eigenen Besten ein wenig in den Senkel zu stellen.
»Sämtliche Kerzen in dieser Universität müssen mit einem langen dünnen Wachsanzünder von einer bereits brennenden Kerze angezündet werden«, sagte er mit ernster Stimme. »Wo hast du diese Streichhölzer her?«
»Das möchte ich lieber nicht sagen, Meister.«
»Das kann ich mir gut vorstellen! Und jetzt raus mit der Sprache, mein Junge!«
»Ich möchte nicht, dass jemand deswegen Ärger bekommt, Meister.«
»Deine Zurückhaltung in Ehren, aber ich muss darauf bestehen«, sagte der Kerzenknappe.
»Ah, sie sind aus Ihrer Jacke herausgefallen, als Sie hinaufgeklettert sind, Meister.«
Aus der Ferne war ein letzter Schrei zu hören: »Der Megapode ist gefangen!« Aber rings um den Kaiser lauschte die Stille mit offenem Mund.
»Du täuschst dich, Nutts«, sagte Schmiers langsam. »Ich glaube, wenn du richtig darüber nachdenkst, kommst du darauf, dass sie einer der Herrschaften vorhin verloren hat.«
»Ach, stimmt, genau so muss es gewesen sein, Meister. Ich darf nicht immer so vorschnell Rückschlüsse ziehen.«
Wieder erfasste den Kerzenknappen dieses Gefühl, nicht ganz im Lot zu sein. »Na schön, dann müssen wir keine weiteren Worte darüber verlieren«, war alles, was er zustande brachte.
»Was genau ist denn da eben passiert, Meister?«, erkundigte sich Nutt.
»Ach das? Das gehört alles zu den überaus wichtigen magischen Betätigungen der hohen Herren, mein Junge. Es ist lebenswichtig für den ordentlichen Lauf der Welt, da bin ich mir ganz sicher. Womöglich haben sie sogar die Sterne in die richtigen Bahnen gesetzt, wer weiß. Solche Sachen müssen wir eben tun, weißt du?«, fügte er hinzu, womit er sich selbst bewusst der Gesellschaft der Zauberer zurechnete.
»Es sah aber eher aus wie ein dünner Mann, der sich eine große Holzente auf den Kopf geschnallt hat.«
»Na ja, vielleicht hat es so ausgesehen, kann schon sein, aber das liegt nur daran, dass es für Leute wie uns eben so aussieht, Leute, die nicht mit der Gabe des okularen Blicks gesegnet sind.«
»Sie meinen, dass es sich dabei um eine Art Metapher handelt?«
Schmiers reagierte recht souverän auf diesen Satz, denn in Wirklichkeit sah er so was von kein Land mehr, dass sich eigentlich schon Entenmuscheln in seiner Unterwäsche hätten ansiedeln müssen. »Ganz recht«, sagte er. »Es könnte eine Meta für etwas anderes sein, das nicht ganz so bescheuert aussieht.«
»Genau, Meister.«
Schmiers schaute auf den Jungen hinab. Es ist nicht seine Schuld, dachte er, er kann ja auch nichts dafür, dass er so ist. Ein ungewohnter Anflug menschlicher Wärme befiel ihn.
»Du bist ein kluges Kerlchen«, sagte er. »Ich sehe nichts, was
Weitere Kostenlose Bücher