Der Coach
Neely.
»Bis jetzt?«
»Ja. Rake ist tot, da spielt es keine Rolle mehr.«
»Aber warum habt ihr so ein großes Geheimnis draus gemacht?«
»Wir hatten Angst, dass es Ärger geben würde«, erwiderte Paul. »Wir haben Rake zwar gehasst, aber er war immer noch Rake. Er hatte nicht irgendjemanden geschlagen, sondern einen seiner Spieler. Nach dem Match hatte Neely immer noch Nasenbluten.«
»Außerdem war es eine sehr emotionale Angelegenheit«, fuhr Neely fort. »Ich glaube, wir haben alle geheult nach dem Spiel, alle fünfzig Spieler. Wir hatten gerade ein Wunder vollbracht, den widrigsten Umständen zum Trotz. Ohne Coach. Nur aus eigener Kraft. Wir waren einfach bloß ein Haufen Jungs, die einem enormen Druck standgehalten hatten. Also beschlossen wir, dass es unser Geheimnis bleiben soll. Silo ging durch den Raum, schaute jedem Einzelnen in die Augen und nahm ihm ein Schweigegelübde ab.«
»Er hat gesagt, er würde jeden umbringen, der irgendwas verlauten lässt«, ergänzte Paul mit leisem Lachen.
Mal goss mit geschickter Hand Sirup über sein nächstes Opfer. »Nette Geschichte. Ich hatte mir schon so was gedacht.«
»Das Merkwürdige ist, dass die Trainer auch nie darüber geredet haben«, sagte Paul. »Rabbit hat auch nichts gesagt. Absolutes Schweigen.«
Nach intensivem Kauen entgegnete Mal: »Eigentlich wussten wir Bescheid. Wir wussten, dass in der Halbzeitpause irgendwas Schlimmes passiert sein musste. Neely konnte nicht passen, und dann hat sich rumgesprochen, dass er in der Woche drauf mit einem Gipsarm in die Schule kam. Wir dachten uns, er muss nach was geschlagen haben – und das wird wohl Rake gewesen sein. Das ganze Jahr über gab es jede Menge Gerüchte, und ihr wisst ja, die sind in Messina keine Mangelware.«
»Ich habe nie jemanden darüber reden hören«, sagte Paul.
Mal nahm einen Schluck Kaffee. Weder Neely noch Paul rührten Kaffee oder Essen an. »Erinnert ihr euch an den jungen Tugdale aus der Gegend von Black Rock? Muss ein oder zwei Jahre jünger sein als ihr.«
»Andy Tugdale«, sagte Neely. »Ein Achtzig-KiloGuard. Wild wie ein Straßenköter.«
»Genau. Wir haben ihn vor Jahren mal eingelocht, weil er seine Frau geschlagen hatte, mussten ihn ein paar Wochen ins Kittchen stecken. Ich hab mit ihm Karten gespielt, das mach ich immer so, wenn wir einen von Rakes Jungs dahaben. Die kriegen von mir eine bessere Zelle, besseres Essen und Ausgang am Wochenende.«
»Die Vorzüge einer Bruderschaft«, bemerkte Paul.
»So was in der Art. Du wirst das noch zu schätzen wissen, wenn ich dich miesen kleinen Banker mal verhafte.«
»Wie dem auch sei.«
»Wie dem auch sei, irgendwann haben wir uns unterhalten, und da hab ich ihn gefragt, was eigentlich in der Halbzeit beim Meisterschaftsfinale ’87 passiert ist. Er hat keinen Mucks mehr von sich gegeben, war plötzlich verschlossen wie eine Auster, kein Wort mehr. Ich hab ihm gesagt, ich weiß, dass es irgendwie Streit gegeben hat. Kein Wort. Dann hab ich ein paar Tage gewartet und es nochmal versucht. Schließlich hat er erzählt, dass Silo die Trainer aus der Umkleide geworfen hat. Er sagte, es hat eine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Rake und Neely gegeben. Ich hab ihn gefragt, wie sich Neely die Hand gebrochen hat. An einer Wand? Einem Spind? Einer Tafel? Nichts davon. An einem Mann vielleicht? Bingo. Aber er hat mir nicht verraten, wer’s war.«
»Tolle Ermittlungsarbeit«, sagte Paul. »Vielleicht stimme ich ja beim nächsten Mal sogar für dich.«
»Können wir gehen?«, fragte Neely. »Mir gefällt diese Geschichte nicht besonders.«
Sie fuhren etwa eine halbe Stunde schweigend weiter. Obwohl er immer noch mit blinkenden Signallichtern dahinbrauste, schien Mal von Zeit zu Zeit einzunicken, während er sein reichhaltiges Frühstück verdaute.
»Ich kann gern auch mal fahren«, sagte Neely, als das Auto auf den Schotterstreifen am Rand der Straße geriet und die Steinchen nach allen Seiten flogen.
»Geht nicht. Ist verboten«, brummte Mal, plötzlich hellwach.
Doch fünf Minuten später döste er schon wieder vor sich hin. Neely beschloss, ihn mit einem Gespräch wach zu halten. »Hast du Jesse auffliegen lassen?«, fragte er und kontrollierte den Sicherheitsgurt.
»Nee. Den haben die Jungs von der Staatspolizei erwischt.« Mal setzte sich zurecht und griff nach einer Zigarette. Es gab wieder etwas zu erzählen, das machte ihn munter. »Er ist in Miami erst aus dem Team geflogen und dann vom College. Ist nur
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