Der Coach
hab noch nie so einen Schmerz erlebt, wie eine glühend heiße Messerklinge. Ich wär davon fast ohnmächtig geworden. Rake hat immer von uns erwartet, dass wir auch verletzt weiterspielen, also hab ich mir gesagt: Rake beobachtet dich. Rake steht irgendwo da oben am Ufer und will sehen, wie viel du aushältst.«
Ein weiterer langer, Krebs fördernder Zug an der Zigarette, gefolgt von dem halbherzigen Versuch, den Rauch aus dem Fenster zu blasen. Mal schwieg, versunken in die schreckliche Erinnerung. Die Zeit verstrich.
»Offensichtlich hast du überlebt«, sagte Paul, der das Ende der Geschichte hören wollte.
»Ich hab Glück gehabt. Die anderen fünf haben sie mit den Füßen voran nach Hause gebracht. Das Boot hat immer noch gebrannt, manchmal konnte ich mich gar nicht mehr festhalten, so heiß war der Rumpf. Dann ist das Triebwerk in die Luft geflogen, hat sich angehört wie direkter Granatbeschuss, und das Boot fing an zu sinken. Ich hab das Gelächter der Schlitzaugen gehört. Und ich hab Rake gehört, vor dem letzten Viertel: ›Jetzt wird’s Zeit, alles zu geben, Männer. Jetzt entscheidet sich, ob wir gewinnen oder verlieren. Jetzt geht es ans Eingemachte.‹«
»Ich höre ihn auch«, warf Neely ein.
»Plötzlich stellen die das Feuer ein. Und dann höre ich die Hubschrauber. Zwei von denen hatten den Rauch gesehen und wollten sich das näher anschauen. Sie sind im Tiefflug gekommen, haben die Schlitzaugen vertrieben, ein Seil runtergeworfen und mich aus dem Wasser gezogen. Während sie mich hochgehievt haben, hab ich runtergeschaut und zwei meiner Kumpels auf dem Deck liegen sehen, schwarz verkohlt. Ich hatte einen Schock und bin dann doch noch ohnmächtig geworden. Später haben sie mir erzählt, was ich gesagt hab, als sie mich nach meinem Namen gefragt haben: ›Eddie Rake‹.«
Neely sah ihn an, doch Mal wandte sich ab. Seine Stimme zitterte ein wenig, dann wischte er sich über die Augen und hatte ein paar Sekunden lang gar keine Hand am Steuer.
»Und so bist du nach Hause gekommen?«, fragte Paul.
»Ja, das war das Gute dran. Ich bin rausgekommen. Habt ihr Hunger, Jungs?«
»Nein.«
»Nein.«
Doch offensichtlich hatte Mal Hunger. Er trat auf die Bremse, riss gleichzeitig das Steuer nach rechts und fuhr auf einen Kiesplatz vor einem alten Gemischtwarenladen. Schlingernd brachte er den Ford zum Stehen. »Hier gibt’s die besten Brötchen im ganzen Bezirk«, verkündete er, stieß die Tür auf und trat in eine Staubwolke hinaus. Sie folgten ihm zum hinteren Teil des Gebäudes und traten durch eine wacklige Tür mit Fliegengitter in eine winzige, dunstige Küche. Vier Tische standen dicht nebeneinander, an denen Männer von ländlichem Äußeren saßen und Brötchen mit Schinken verspeisten. Zum Glück – vor allem zu Mals Glück, der kurz vor dem Verhungern zu sein schien –, standen drei freie Barhocker an einer voll gepackten Theke. »Wir könnten ein paar Brötchen vertragen«, raunzte er einer kleinen, alten Frau zu, die über den Herd gebeugt stand. Speisekarten brauchte man hier offenbar nicht.
Erstaunlich rasch servierte sie ihnen Kaffee und Brötchen mit Butter und Sorghum-Sirup. Mal machte sich über das erste Brötchen her, ein riesiges, bräunliches Gebilde aus Fett und Mehl, das gut und gern ein Pfund zu wiegen schien. Neely und Paul, die rechts und links von ihm saßen, folgten seinem Beispiel.
»Ich hab gehört, worüber ihr gestern auf der Tribüne geredet habt«, sagte Mal und wechselte damit vom Vietnamkrieg zum Football. Er nahm einen großen Bissen und kaute angestrengt. »Ging um das Spiel von ’87. Ich war natürlich dabei, wie alle anderen auch. Wir haben uns gedacht, dass in der Halbzeitpause irgendwas passiert sein muss, in der Umkleide, irgendeine Auseinandersetzung zwischen euch und Rake. Aber keiner kennt die wahre Geschichte, weil ihr ja nie drüber geredet habt.«
»Auseinandersetzung ist das richtige Wort«, sagte Neely, der noch damit beschäftigt war, sein Brötchen zu streichen.
»Keiner hat je darüber geredet«, bestätigte Paul.
»Also, was war los?«
»Wir hatten eine Auseinandersetzung.«
»Das weiß ich inzwischen. Rake ist tot.«
»Und?«
»Und es ist fünfzehn Jahre her. Ich will die Geschichte endlich hören.« Mal sprach im selben Ton, mit dem er wahrscheinlich Mordverdächtige im Gefängnis verhörte.
Neely legte sein Brötchen auf den Teller und starrte es an. Dann schaute er zu Paul hinüber, und der nickte. Na los. Du kannst es
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