Der Code des Luzifer
rannte los, und die Kette spannte sich, als Aladfar Schritt hielt mit einem Jungen, der wie ein Tier lief – mit großen Sprüngen, nicht in vollem Galopp, sondern stets bereit, auf plötzliche Gefahr zu reagieren.
In den zuckenden Schatten sah Max, wie Abdullah jetzt mit einem Tuareg kämpfte. Der große, kräftige Mann rang mit dem Krieger, hatte ihn an seiner Kleidung gepackt, hob ihn hoch, drehte ihn halb herum und schleuderte ihn mit einem kräftigen Wrestler-Wurf zu Boden, wodurch der Angreifer ohnmächtig wurde.
Drei erledigt – einer noch.
Doch da hatte Max sich geirrt. Die Kampfgeräusche waren zu den auf der anderen Mauerseite bei den Pferden wartenden zwei Männern durchgedrungen. Und da Krieger nichts lieber tun, als sich ins Getümmel stürzen, war einer der beiden schon dabei, über die Mauer zu klettern.
Max und Aladfar rannten über eine kleine Steinbrücke zwischen zwei Pferchen. Aus der Dunkelheit kam eine schreiende Gestalt auf sie zu – ein in sein Gewand gehüllter Kämpfer, einen Krummsäbel in der einen, eine brennende Fackel in der anderen Hand.
Abdullah vernahm das Kampfgeschrei des Mannes, drehte sich alarmiert um und sah, dass Max angegriffen wurde. Seine gebrüllte Warnung ging im Jaulen der Sirene unter. Er hatte einen zweiten Krieger von der Mauer springen und von Max’ Flanke kommen sehen, das Schwert über dem Kopf schwingend, bereit, mit einem Hieb zu töten.
Max hörte ein Brüllen, bei dem ihm fast das Herz stehen blieb. Aladfar griff an, sprang auf den ersten Angreifer zu. Mit seinem kräftigen Zug riss das Tier Max genau in dem Moment um, als der zweite Mann sich jetzt in seinem toten Winkel näherte.
Max, der die Kette umklammerte, wurde von dem Tiger herumgezerrt und zu Boden geworfen. Das Schwert, ein schimmernder Streifen, mit so viel Kraft geschwungen, dass es einen Arm oder ein Bein abtrennen konnte, traf den steinigen Untergrund. Wie in Zeitlupe sah Max Aladfar über den ersten Angreifer herfallen, doch wie durch ein Wunder konnte sich der Mann noch einmal losreißen. Seine Kleider waren zerfetzt, von Aladfars Tatzen tropfte Blut. Mit einem schrecklichen Schrei warf sich der Tuareg über das nächstbeste Geländer, um dem letzten, tödlichen Biss zu entkommen. Max wusste, der Mann hatte mehr als einmal Glück gehabt. Er war Aladfar fürs Erste entkommen und in die Senke zu den Affen gefallen. Das alles schoss ihm durch den Kopf, als die Kette plötzlich erschlaffte. Aladfar hatte sich umgewandt.
Und brüllte.
Ein Brüllen, mit dem er seine ganze geballte Kampfkraft mobilisierte.
Angst erschien in den Augen des zweiten Angreifers. Er wollte erneut ausholen, um den Jungen zu töten, doch in dem Augenblick fiel ihm der Schleier vom Gesicht. Nach seinem Glauben konnte das Böse sein Herz treffen, wenn er Mund und Nase unverschleiert hatte. Das Gebrüll war von dem Jungen gekommen, von dem flackernden Schatten, der vor ihm aufragte wie ein riesiges Tier. Oder verzerrte das wütende Feuer alles, was er sah?
Aladfar zerrte und zog, wollte zuschlagen und töten, dochden Mann traf der Hieb dieses anderen Wesens, das die Kette mit dem Tiger hielt. Es war kein Tatzenhieb, sondern der ausholende Arm von Max, der den Tuareg fällte und der Gnade Aladfars überließ.
Der Tiger sprang.
Max stieß einen Laut aus, der ihm selber fremd war. Er hatte das Inferno der Nacht in sich aufgenommen und verwandelte es in einen Autorität und Macht demonstrierenden Schrei.
Aladfar reagierte unmittelbar. Er wich zurück, spürte, wie die Kette anzog – ein zweites Band zwischen ihm und diesem Wesen der Wildnis.
Max’ Mund war trocken wie Sand. Er hob den Blick und sah sich um. Er kniete auf dem Rücken des bewusstlosen Kriegers und fesselte seine Hände mit der Kordel, die die Kleider des Mannes zusammenhielt.
Das Jaulen der Sirene ließ nach, wich zögernd der Stille. Max sah Abdullah in der Ferne, er kam auf ihn zugewankt, die einst makellose Djellaba mit Schmutz und Blut beschmiert.
Fauvre tauchte aus den Rauchschwaden auf, rief Abdullah zu sich und ließ sich von ihm im Rollstuhl zu Max bringen.
»Ihr Zimmer ist von außen abgeschlossen. Sie ist nicht da«, sagte Fauvre.
Tiere krakeelten und schnatterten immer noch, aber allmählich ergriff die Stille von Max Besitz. Er kehrte in die Realität zurück, nach einem frenetischen, adrenalingesättigten Kampf.
Max hob den Kopf und blickte in die bernsteinfarbenen Augen der mächtigen Katze, die keine zwei Meter von ihm entfernt
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