Der Code des Luzifer
den er dabei erleiden würde, wäre er in weniger als einer Stunde tot. Er bekam allmählich Platzangst in dem engen Kamin. Enge Räume machten ihm schon in guten Zeiten schwer zu schaffen, aber die Fantasie konnte die Sache noch verschlimmern. Nein! Die Felswände rückten nicht näher! Er beruhigte sich wieder im Schein seiner Stirnlampe.
Nachdem er seine Angst eingedämmt hatte, machte Max sich an den weiteren Abstieg. Er hob einen Fuß von dem glatten Stein. Seine Turnschuhe gaben ihm zwar auch abseits der Straße guten Halt, aber für Eis waren sie nicht geeignet. Sie hatten aber vorne in der Sohle vier kleine Schraubfassungen für Spikes,die einem besseren Halt verliehen. Er blies sich auf die Fingerspitzen. Von diesen feinen Spikes durfte er keinen einzigen verlieren. Nach ein paar Minuten hatte er alle eingesetzt. Jetzt würde er an der Eiswand Halt finden. Max zog sich die Stirnlampe vom Kopf, schlang sie um seinen linken Fuß, zog den Gurt fest, sodass sie Lampe nach unten zeigte, aber genügend Abstand zu den Spikes hatte, und machte den ersten vorsichtigen Schritt hinab in unbekanntes Gefilde.
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass der Berg im Innern über Höhlen oder ausgehöhlte Kammern verfügte, war es nur logisch, davon auszugehen, dass auf einer Seite die wilden Tiere waren und dass es auf der anderen Seite noch eine weitere Kammer gab. Eine solche Logik funktionierte zwar nicht immer, aber Max hatte keine Wahl. Außerdem fühlte er sich besser, wenn er daran glaubte.
Die Beine gestreckt, den Rücken so fest wie möglich an die Felswand gepresst – sein Rucksack verhalf ihm wenigstens zu etwas Haftung –, ließ er sich in das gefährliche Eis hinab. Als er mit dem linken Fuß einen Haltepunkt an der Wand fand, fiel das Licht nach unten und Max sah, dass der Schacht unter ihm eine Kurve machte. Er betete, dass er dahinter nicht senkrecht abfiel, denn dann hatte er keine Chance.
Die Neigung wurde steiler. Ein feiner blauer Lichtschein, der nicht von seiner Lampe stammte, drang durch den Schacht herauf. Sehnen und Muskeln gestreckt, versuchte er sein Tempo zu drosseln. Die Spikes wurden ihm von den Schuhen gerissen, bald würde er irgendwo aufschlagen. Aber wo? Er klemmte die Knie zusammen, beugte die Beine, hob die Arme über den Kopf, zog die Ellbogen an den Körper, holte tief Luft und ließ sich fallen.
Ein gespenstischer blauer Lichtschein zog an seinen Augenvorüber, als der Schacht ihn unten ausspie. Wo der Kamin endete, wölbte sich eine Eisfläche von der Felswand hinab in eine riesige Halle. Max war noch zehn Meter oberhalb des Bodens, aber die wie eine Bobbahn geschwungene Rutsche bremste ihn ab, und er glitt sanft nach unten.
Max schlitterte über den glänzenden schwarzen Steinboden und schlug dumpf an einer Eiswand an. Irgendwo im Hintergrund unterbrach fließendes Wasser die Stille. Er kam auf die Beine. Der dumpfe Schein kam von sehr matten Lichtern, aber die blaue Färbung rührte von dem Eis her, das ihn umgab. Er kam sich vor wie im Innern eines Gletschers. Doch als seine Augen sich an die Umgebung gewöhnt hatten, wurde es Max plötzlich eng in der Brust. Hier unten war es unter null Grad, sein Atem bildete Wölkchen. Es war aber nicht die plötzliche Kälte, die ihm solch panische Angst machte. Dutzende Augen starrten ihn an.
Die Augen von Toten.
26
T ischenko hatte sich den Bericht des Hais über die Aktion im Parc la Grange angehört.
Der Tod des Mädchens, der ungarischen Killerin, hatte kein Bedauern bei ihm ausgelöst. Das eigene Überleben hing von den Fähigkeiten und von der Entschlossenheit ab, die man besaß. Glück war ein launischer Gefährte.
Der Hai schilderte ihm den Überfall ganz genau, erzählte, zusammen mit Max Gordon seien ein paar üble Burschen aufgetaucht und hätten Peaches überfahren. Es sei unmöglich gewesen, den jungen Engländer zu schnappen. Immerhin hatte er aber, was für Tischenko am kostbarsten war – den Anhänger. Der Hai hatte sich immer danach gesehnt, von Tischenko als Vucari akzeptiert zu werden – als Wolfsmensch, als einer der Auserwählten.
Tischenko trug dem Jüngeren auf, etwas zu essen zu besorgen; belohnen würde er ihn später. Er besah sich den Anhänger genauer. Auf den ersten Blick konnte er nichts erkennen. Das Ding kam ihm ganz gewöhnlich vor. Seine Leute würden ihn mit Mikroskopen untersuchen, die so stark waren, dass sie damit sogar Mikroben in die Augen schauen konnten.
Endlich. Das Geheimnis, das
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