Der Codex
Revolution gegeben und wir hätten jetzt einen neuen Häuptling. Der Alte sei e r schossen worden. Sie sagten, wir sollten nun andere Papi e re mit einem Zeichen versehen. Danach kamen weitere Missionare, bauten Schulen und brachten uns Medikame n te. Sie haben sich zwar alle Mühe gegeben, die Jungs einz u fangen und in die Schule zu bringen, aber es ist ihnen nie recht gelungen.
In den alten Zeiten hatten wir einen sehr klugen Häup t ling. Es war Don Cali, mein Großvater. Eines Tages rief er uns zusammen. Er sagte, wir müssten die neuen Leute, die sich wie Irre aufführten, doch so schlau wie Dämonen w a ren, verstehen lernen. Wir sollten in Erfahrung bringen, wer sie wirklich waren. Er hat die Jungs gefragt, ob sich jemand freiwillig melden wolle. Ich habe mich gemeldet. Als das nächste Mal Missionare kamen, ließ ich mich fangen und wurde in ein Internat nach La Ceiba geschickt. Man hat mir das Haar abgeschnitten, mich in kratzige Kleider und heiße Schuhe gesteckt und mich verhauen, sobald ich Tawahka sprach. Ich bin zehn Jahre dort geblieben und habe die sp a nische und englische Sprache gelernt. Außerdem habe ich mit eigenen Augen gesehen, wer die Weißen sind. Es war meine Aufgabe: sie verstehen zu lernen.
Dann ging ich zurück und erzählte meinem Volk, was ich erfahren hatte. Alle sagten: >Das ist ja schrecklich, was so l len wir nur tun?< Und ich sagte: >Überlasst es mir. Wir werden ihnen Widerstand leisten, indem wir ihnen z u stimmen.<
Danach wusste ich genau, was ich zu den Männern sagen musste, die mit Aktenkoffern und Papieren in unser Dorf kamen. Ich wusste, wann ich Papiere unterzeichnen musste und wann es besser war, sie zu verlieren. Ich wusste, wann ich mich wie ein Blödmann aufführen musste. Ich wusste, was die Jesusmenschen hören wollten, wenn ich Medizin, Nahrung und Kleider brauchte. Sie brachten jedes Mal ein Bild des neuen Häuptlings mit und erzählten mir, ich solle das Bild des alten wegwerfen, weil man ihn nämlich e r schossen habe. Dann dankte ich ihnen, hängte das neue Bild in meiner Hütte auf und umrahmte es mit Blumen.
Und so wurde dann ich Häuptling von Pito Solo. Und jetzt wissen Sie, Curandera, dass ich weiß, wie die Dinge hier laufen. Wir können nichts tun, um den Bergindianern zu helfen. Wir können unser Leben nur sinnlos wegwe r fen.«
»Was mich persönlich betrifft«, sagte Sally, »so kann ich nicht einfach fortgehen.«
Don Alfonso legte eine Hand auf die ihre. »Sie sind der mutigste Mensch, den ich kenne, Curandera - auch als Frau.«
»Fangen Sie nicht wieder damit an, Don Alfonso.«
»Sie sind sogar mutiger als die meisten Männer, die ich gekannt habe. Unterschätzen Sie die Bergindianer nicht. Ich möchte ihnen als Soldat nicht in die Hände fallen. Weil mein letzter Blick auf Erden nämlich auf das Feuer fällt, auf dem sie meine Männlichkeit rösten.«
Mehrere Minuten lang sagte niemand ein Wort. Tom fühlte sich ausgesprochen müde. »Dass all dies geschieht, ist unsere Schuld, Don Alfonso. Beziehungsweise die Schuld unseres Vaters. Wir sind dafür verantwortlich.«
»Das ganze Gerede über >seine Schuld, unsere Schuld< führt zu gar nichts, Tomas. Wir können nichts tun. Wir sind machtlos.«
Philip nickte zustimmend. »Ich habe die Schnauze voll von dieser verrückten Reise. Wir werden die Welt nicht retten.«
»Das finde ich auch«, sagte Vernon.
Tom registrierte, dass alle ihn anschauten. Hier wurde eine Art Abstimmung abgehalten, und er musste die En t scheidung treffen. Dann sah er, dass Sally ihn mit einer g e wissen Neugier musterte. Er selbst konnte sich irgendwie nicht als Menschen sehen, der einfach so aufgab. Dazu war er zu weit gelangt. »Wenn wir jetzt umkehren, könnte ich es mir später nie verzeihen. Ich halte zu Sally.« Aber es stand noch immer drei zu zwei.
Don Alfonso war noch vor Sonnenaufgang auf den Beinen und brach das Lager ab. Der normalerweise unergründliche Indianer war vor Angst außer sich.
»Gestern Nacht war ein Bergindianer ein paar hundert Meter von unserem Lager entfernt. Ich habe seine Spuren gesehen. Ich selbst habe keine Angst vor dem Tod. Aber ich war schon die Ursache für den Tod von Pingo und Chori und möchte kein weiteres Blut an den Händen haben.«
Tom schaute Don Alfonso zu, wie er ihre Habseligkeiten zusammenpackte. Er hatte ein mulmiges Gefühl. Es war aus. Hauser hatte gesiegt.
»Wo Hauser mit dem Codex auch hingeht und was er auch tut«, sagte Sally, »ich werde mich an seine
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