Der Codex
Ihnen sprechen?«
»Natürlich.«
»Vor einem halben Jahr wurde bei meinem Vater Krebs diagnostiziert.« Philip hielt inne und betrachtete Hausers Gesicht, um zu erfahren, ob er davon wusste. Doch die Miene seines Gegenübers war so undurchdringlich wie die Platte seines Mahagonischreibtisches. »Lungenkrebs«, fuhr Philip fort. »Man hat ihn operiert und die übliche Chem o therapie und Bestrahlung vorgenommen. Er hat den Stu m pen entsagt und um Vergebung gebeten. Eine Weile sah es so aus, als sei er über den Berg, aber dann ging alles wieder los. Er hat sich zwar einer erneuten Chemotherapie unte r zogen, allerdings nur widerwillig. Eines Tages hat er die Strippen rausgezogen, einen Krankenpfleger gemimt und ist getürmt. Er hatte damals noch sechs Monate. Davon sind jetzt drei vergangen.«
Hauser hörte ihm zu und paffte seine Zigarre.
Philip hielt inne. »Hat er mit Ihnen Kontakt aufgenommen?«
Hauser schüttelte den Kopf und stieß ein weiteres Wölkchen aus. »Seit vierzig Jahren nicht.«
»Irgendwann im letzten Monat«, fuhr Philip fort, »ist er mit seinem gesamten Krimskrams verschwunden. Er hat uns ein Video hinterlassen.«
Hauser zog fragend die Brauen hoch.
»Es enthält mehr oder weniger sein Testament. Er hat gesagt, er nehme alles mit ins Grab.«
»Was hat er gesagt?« Hauser beugte sich vor. Seine Miene wirkte plötzlich interessiert. Seine Maske war für einen Augenblick gefallen: Er war wirklich verblüfft.
»Er hat alles mitgenommen. Wirklich alles. Das Geld, die Kunstgegenstände, seine ganze Sammlung. Wie ein ägyptischer Pharao. Er hat sich irgendwo auf der Welt in eine Grabkammer zurückgezogen und uns eine Herausford e rung hinterlassen: Wenn wir das Grab finden, können wir es ausrauben. Das nämlich ist seine Vorstellung, wie wir uns unser Erbe verdienen sollen.«
Hauser lehnte sich zurück. Er lachte laut und ausgiebig. Als er sich erholt hatte, zog er mehrmals träge an seiner Zigarre. Dann streckte er die Hand aus und klopfte fünf Zentimeter Asche ab. »Einen so schrägen Plan kann sich auch nur Max ausdenken.«
»Sie wissen also nichts davon?«, fragte Philip.
»Nichts.« Hauser schien die Wahrheit zu sagen.
»Sie sind doch Privatdetektiv«, sagte Philip.
Hauser schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen.
»Sie sind mit ihm aufgewachsen. Sie haben ein Jahr mit ihm im Dschungel verbracht. Sie kennen ihn. Sie wissen besser als jeder andere, wie er gearbeitet hat. Hätten Sie vielleicht Lust, mir als Privatermittler bei der Suche nach seinem Grab behilflich zu sein?«
Eine Wolke blauen Dunstes entströmte Hausers Mund.
»Ich habe nicht den Eindruck, dass dies ein schwieriger Auftrag ist«, fuhr Philip fort. »Eine Kunstsammlung dieser Größe kann man nicht transportieren, ohne dass es jemandem auffällt.«
»In Max' Gulfstream IV würde sie aber reinpassen.«
»Ich bezweifle, dass er sich in seinem Flugzeug begraben lässt.«
»Die Wikinger haben sich in ihren Schiffen bestatten lassen. Vielleicht hat Max seine Sammlung in luftdichte und druckfeste Behälter verpackt und die Maschine mitten über der unergründlichen Weite des Pazifik abstürzen lassen, wo sie jetzt unter drei Kilometer Wasser verborgen ist.« Hauser breitete lächelnd die Hände aus.
»Nein«, erwiderte Philip. Er tupfte sich die Stirn ab und versuchte, das Bild des Lippi-Gemäldes zu verdrängen, das drei Kilometer unter dem Meeresspiegel in schlammigen Untiefen eingeklemmt war. »Das glauben Sie doch selbst nicht, oder?«
»Ich sage ja nicht, dass er es getan hat. Ich möchte Ihnen nur verdeutlichen, wozu zehn Sekunden Nachdenken fü h ren können. Arbeiten Sie mit Ihren Brüdern zusammen?«
»Halbbrüder. Nein. Ich habe beschlossen, die Grabkammer allein zu finden.«
»Was sind die Pläne Ihrer Brüder?«
»Ich weiß es nicht. Und offen gesagt, ist es mir auch egal. Natürlich werde ich das, was ich finde, mit ihnen teilen.«
»Erzählen Sie mir was über sie.«
»Tom ist vermutlich derjenige, vor dem man sich in Acht nehmen muss. Er ist der jüngste. Als wir Kinder waren, war er der wildeste. Er gehört zu denen, die immer als Erster von einer Klippe ins Wasser springen und Steine auf ein Wespennest werfen. Er ist aus mehreren Schulen geflogen, aber im College hat er Vernunft angenommen und sich seither immer wacker durchgeschlagen.«
»Und der andere, Vernon?«
»Er lebt momentan bei einer pseudobuddhistischen Sekte, die ein Ex-Professor aus Berkeley anführt. Vernon war i
Weitere Kostenlose Bücher