Der Codex
kleine Tatsache etwa entfallen? Man erwartet von uns, dass wir ehrlich sind.«
»Yeah«, sagte Fenton.
»Genau«, fuhr Barnaby kurz darauf fort. »Ehrlichkeit. Wenn man die nicht hat, Fenton, was hat man dann?«
»'ne halbe Milliarde Dollar«, erwiderte Fenton.
6
Das Haus war kein alter brauner Sandsteinbau wie in einem Bogart-Film, sondern eine sich über der West 57th Street in den Himmel schraubende Monstrosität aus Glas und Stahl. Einer der hässlichen Wolkenkratzer aus den Achtzigerjahren. Wenigstens, dachte Philip, bringt der Kasten jede Menge Mietzins ein. Wenn die Miete hier hoch war, b e deutete das, dass Marcus Aurelius Hauser zu den erfolgre i chen privaten Ermittlern gehörte.
Schlenderte man durch die Lobby, kam man sich vor, als beträte man einen gigantischen glatten Granitwürfel. Das Gebäude stank förmlich nach Reinigungsmitteln. In einer Ecke wuchs ein kränklich aussehender Bambushain. Ein Aufzug beförderte Philip in den dreißigsten Stock. Bald darauf stand er vor den Kirschholztüren, die ins Büro des Privatdetektivs Marcus Hauser führten.
Philip hielt am Eingang inne. Was er sich auch immer u n ter dem Büro eines Privatdetektivs vorgestellt hatte, dieses farblose postmoderne Innere aus grauem Klinker, indu s triell gefertigten Teppichläufern und glattem schwarzem Granit jedenfalls sicher nicht. Wie konnte man nur an e i nem so sterilen Ort arbeiten? Der Raum wirkte leer.
»Yeah?«, tönte eine Stimme hinter einer halbmondförmigen Mauer aus Glasbausteinen hervor.
Philip umrundete sie und musterte den Rücken eines Mannes, der hinter einem großen nierenförmigen Schrei b tisch saß.
Statt der Bürotür zugewandt zu sein, blickte er in die G e genrichtung auf eine Wand voller nach Westen ausgericht e ter Fenster, die über den stumpfen Zinkglanz des Hudson River hinwegschauten. Ohne sich umzudrehen, deutete der Mann auf einen Lehnstuhl. Philip durchquerte den Raum, nahm Platz und machte es sich bequem, um Marcus Hauser zu mustern. Er war als Green Beret in Vietnam gewesen. Er war Ex-Grabräuber und Lieutenant im Manhattaner Stab s quartier des Amtes für Tabak, Alkohol und Schusswaffen gewesen.
In den Fotoalben seines Vaters hatte Philip unscharfe und verschwommene Bilder des jungen Hauser gesehen - in Dschungelkhaki gekleidet, irgendein Schießeisen auf der Hüfte balancierend. Er hatte ständig gegrinst. Philip fühlte sich etwas außer Fassung, ihm nun persönlich zu begegnen. Hauser sah kleiner aus, als er ihn sich vorgestellt hatte, und war übertrieben mit einem braunen Anzug mit Krawatte n nadel, Weste, Goldkettchen und Uhrkette bekleidet. Einer aus der Arbeiterklasse, der die Vornehmen nachäffte. A u ßerdem roch er nach Rasierwasser. Die wenigen Haare, die er noch hatte, waren übermäßig pomadisiert und gelockt, jede Strähne genau gelegt, um die kahle Stelle maximal zu tarnen. An Hausers Fingern blitzten nicht weniger als vier Goldringe. Seine Hände waren manikürt, seine Nägel sa u ber und poliert, seine Nasenlöcher sorgfältig von jeder B e haarung befreit. Selbst die unter der Haartarnung glänze n de Glatze sah aus, als habe man sie eingewachst und g e wienert. Philip ertappte sich bei der Frage, ob dies der gle i che Marcus Hauser war, der sich mit seinem Vater auf der Suche nach versunkenen Städten und uralten Gräbern durch den Dschungel geschlagen hatte. Hatte er sich vie l leicht geirrt?
Er räusperte sich. »Mr. Hauser?«
»Marcus«, kam die rasche Antwort. Sie knallte wie ein Tennis-Aufschlag. Auch Hausers Stimme brachte Philip aus der Fassung. Sie war hoch und nasal und wies den Akzent der Arbeiterklasse auf. Seine Augen waren so grün und kühl wie die eines Krokodils.
Philip war irgendwie nervös. Er schlug die Beine übereinander, zückte, ohne um Erlaubnis zu bitten, seine Pfeife und stopfte sie mit Tabak. Als Hauser dies sah, lächelte er, öffnete eine Schreibtischschublade, entnahm ihr einen Feuchtbehälter und zog eine riesige Churchill heraus. »Wie schön, dass Sie Raucher sind«, sagte er. Er rollte die Zigarre zwischen seinen vollkommenen Fingern, nahm eine gold e ne, mit seinem Monogramm versehene Schere aus der T a sche und knipste ein Ende ab. »Wir dürfen nicht zulassen, dass die Barbaren die Welt erobern.« Als die Zigarre bran n te, lehnte er sich in seinen Sessel zurück und musterte Phi l ip durch eine Rauchwolke. »Was kann ich für den Sohn meines alten Partners Maxwell Broadbent tun?«
»Darf ich vertraulich mit
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