Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
Vom Netzwerk:
Dollar haben?«
    Ein Schrei ertönte, dann stürmten hundert Kinder aus dem Dschungelgewoge hervor. Sie schrien und johlten und streckten die Hände aus.
    »Wer spricht Spanisch?« Sally hob den Dollar in die Luft.
    Alle krakeelten gleichzeitig auf Spanisch los. Ein älteres Mädchen trat aus dem Gewimmel hervor. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte es mit großartiger Körperhaltung und Würde. Sie war etwa dreizehn, hübsch, trug ein T-Shirt mit ineinander verlaufenden Farben, Shorts und goldene Ohrringe. Dicke braune Zöpfe fielen auf ihre Schultern.
    Sally gab ihr den Dollar. Ein lautes und enttäuschtes Ahhh ging durch die Menge. Doch die Kinder schienen es mit Humor zu nehmen. Endlich war das Eis gebrochen.
    »Wie heißt du?«
    »Marisol.«
    »Was für ein schöner Name.«
    Das Mädchen lächelte.
    »Wir suchen Don Orlando Ocotal. Kannst du uns zu ihm bringen?«
    »Er ist vor über einer Woche mit den Yanquis weggegangen.«
    »Mit welchen Yanquis?«
    »Mit einem großen wütenden Gringo. Er hatte überall Stiche im Gesicht. Und mit einem anderen. Er hat immer gelächelt und hatte goldene Ringe an den Fingern.«
    Tom fluchte und schaute Sally an. »Offenbar hat Philip unseren Führer vor uns erwischt.« Er wandte sich Marisol zu. »Haben sie gesagt, wohin sie wollen?«
    »Nein.«
    »Gibt es Erwachsene hier im Dorf? Wir wollen flussau f wärts und brauchen einen Führer.«
    »Ich kann Sie zu meinem Großvater bringen«, sagte das Mädchen. »Don Alfonso Boswas. Er ist der Bürgermeister hier. Er weiß alles.«
    Sie folgten ihr. Marisol wirkte sehr selbstbewusst und fähig, ein Eindruck, den ihre aufrechte Körperhaltung noch verstärkte. Als sie an den schiefen Hütten vorbeigingen, drangen Kochdünste in Toms Nase, die ihn vor Hunger beinahe ohnmächtig werden ließen. Marisol führte sie zur mehr oder weniger schlimmsten Hütte des Dorfes, einem windschiefen Haufen aus dünnen Stämmen, zwischen d e nen sich fast kein Lehm mehr befand. Sie ragte an einer e r digen Fläche auf, die als Dorfplatz diente. In der Mitte wuchsen einige verwahrloste Zitronen- und Bananenbä u me.
    Vor der Tür machte Marisol ihnen Platz, und sie traten ein. In der Mitte der Hütte saß ein alter Mann auf einem für ihn zu niedrigen Hocker. Seine knochigen Knie durchst a chen die riesigen Löcher in seiner Hose. Auf seinem fast kahlen Schädel standen ein paar Strähnen weißen Haars in alle Richtungen ab. Er rauchte eine Maiskolbenpfeife, deren Qualm die Hütte mit einem teerartigen Geruch erfüllte. Neben ihm lag eine Machete auf dem Boden. Er war klein und trug eine Brille, die seine Augen so sehr vergrößerte, dass er wie ständig überrascht wirkte. Es war kaum zu fa s sen, dass er der Ortsvorstand sein sollte. Er sah eigentlich eher aus wie der ärmste Dorfbewohner.
    »Don Alfonso Boswas?«, fragte Tom.
    »Wer?«, schrie der Greis. Er riss die Machete an sich und schwenkte sie vor Toms Nase herum. »Boswas? Dieser Lump? Er ist weg. Man hat ihn längst aus dem Dorf gejagt. Dieser Tunichtgut lebt schon viel zu lange. Er hat den ga n zen Tag lang nur rumgesessen, Pfeife geraucht und den Mädchen hinterhergeschaut, die an seiner Hütte vorbeig e gangen sind.«
    Tom musterte den Mann überrascht, dann drehte er sich um und suchte nach Marisol. Sie stand im Türrahmen und unterdrückte ein Grinsen.
    Der Greis legte die Machete hin und lachte. »Kommen Sie rein, kommen Sie rein. Ich bin Don Alfonso Boswas. Setzen Sie sich. Ich bin nur ein alter Mann, der gern Witze erzählt. Ich habe zwanzig Enkel und sechzig Urenkel, aber die kommen nie vorbei, um mich zu besuchen. Also muss ich den Fremden Witze erzählen.« Er sprach ein eigenartig gest o chenes und altmodisches Spanisch.
    Tom und Sally zogen sich zwei wacklige Hocker heran. »Ich bin Tom Broadbent«, sagte Tom. »Und das ist Sally Colorado.«
    Der Greis stand auf, verbeugte sich vornehm und setzte sich wieder hin.
    »Wir suchen einen Führer. Wir wollen den Fluss hinauf.«
    »Hm«, machte Don Alfonso. »Urplötzlich sind alle Ya n quis verrückt darauf, flussaufwärts zu fahren und sich im Meambar-Sumpf zu verlaufen, wo sie von Anakondas g e fressen werden. Warum?«
    Tom zögerte. Die unerwartete Frage verblüffte ihn.
    »Wir wollen seinen Vater finden«, sagte Sally. »Maxwell Broadbent. Er ist vor etwa einem Monat mit einer Gruppe von Indianern mit Einbäumen hier durchgekommen. Sie hatten vermutlich viele Kisten bei sich.«
    Der Greis schaute Tom aus zusammengekniffenen Augen an.

Weitere Kostenlose Bücher