Der Codex
Zahnst o cherfische, Pirañas und an all die Krankheiten zu denken, die in dieser Brühe lauerten.
Vernon war vor ihm. Er hielt sich am Dollbord fest und schob den Einbaum voran, als Tom rechts im dunklen Wa s ser ein langsames Wogen auffiel. Im gleichen Moment hörte er Don Alfonsos durchdringenden Schrei. »Anakonda!« Tom kletterte ins Boot, doch Vernon war um einen Bruc h teil zu langsam. Das Wasser wirbelte auf, dann kräuselte es sich leicht und Vernon verschwand mit einem gleich darauf abbrechenden Aufschrei in der braunen Brühe. Der glä n zende Rücken der Schlange glitt vorbei. Bevor das Tier u n tertauchte und verschwand, ließ es kurz seinen Leib sehen, der so dick war wie ein kleiner Baumstamm.
»Ehi! Sie hat Vernito!«
Tom riss seine Machete aus dem Gürtel und stürzte sich ins Wasser. Er trat kräftig aus und tauchte, so tief er konnte. In der finsteren braunen Brühe konnte er kaum dreißig Zentimeter weit sehen. Mit Scherenschlägen bewegte er sich auf die Mitte zu, tastete sich mit der freien Hand voran und schwenkte sie hin und her, um die Schlange zu finden. Er spürte etwas Kaltes, Rundes und Schlüpfriges und hieb darauf ein, bevor er begriff, dass es nur ein versunkener Baumstamm war. Er packte ihn, zog sich vorwärts und suchte mit tastender Hand verzweifelt nach der Schlange beziehungsweise seinem Bruder. Seine Lunge stand kurz vor dem Platzen. Er schoss an die Oberfläche, tauchte e r neut unter und griff um sich. Wo steckte die Schlange? Wie viel Zeit war schon vergangen? Eine Minute? Zwei? Wie lange konnte Vernon überleben? Die Verzweiflung trieb Tom weiter. Er setzte seine wütende Suche fort und griff zwischen die schleimigen versunkenen Stämme.
Ein Stamm zuckte plötzlich unter der Berührung. Es war ein muskulöser Schlauch, hart wie Mahagoni. Darunter ertastete Tom bewegliche Haut und das Wogen sich zusa m menziehender Muskeln.
Er bohrte die Machete in den weichen Unterbauch der Schlange und grub sie so tief hinein, wie es nur ging. Eine Sekunde lang passierte nichts, dann explodierte das Biest in peitschenartigen Bewegungen, die Tom im Wasser nach hinten warfen und die Luft mit gewaltiger Blasenentwic k lung aus ihm heraustrieben. Er kraulte an die Oberfläche zurück und atmete ein. Der Wasserspiegel schäumte, als die Schlange um sich schlug. Tom bemerkte, dass die Machete weg war.
Nun flogen die zuckenden Windungen der Schlange in glänzenden Bögen aus dem Wasser. Einen Moment lang tauchte Vernons zur Faust geballte Hand auf, dann sein Kopf. Ein Aufkeuchen, dann war er wieder weg.
»Eine Machete!«
Pingo warf ihm seine Waffe mit dem Griff voran zu. Tom fing sie auf und drosch auf den sich windenden Leib der Schlange ein, die auf dem Wasserspiegel um sich schlug.
»Der Kopf!«, schrie Don Alfonso. »Schlagen Sie auf den Kopf!«
Doch wo war in dieser Schlangenmasse der Kopf? Da kam Tom eine Idee. Er stach mit der Machetenspitze mehrmals auf den Leib der Schlange ein, um sie in Rage zu bringen. Dann tauchte der hässliche kleine Kopf der Bestie aus dem Wasser auf. Tom sah ein abgeflachtes Maul und zwei Schlitzaugen, die nach der Ursache ihrer Qualen suchten. Als sie sich mit offenem Maul auf ihn stürzte, bohrte Tom die Machete tief in den weit aufgerissenen, rosa Schlund des Ungeheuers. Die Schlange zuckte und ruckte und biss sich fest, doch Tom lockerte seinen eisernen Griff auch dann nicht, als das Monster ihm in den Arm biss. Er drehte die Machete im Maul der Schlange und spürte, wie ihr Fleisch nachgab. Dann das plötzliche Strömen kalten Rept i lienblutes. Der Kopf zuckte hin und her und hätte ihm be i nahe den Arm abgerissen. Tom versetzte der Machete mit aller ihm noch verbliebenen Kraft eine letzte feste Drehb e wegung, und da trat die Klinge hinter dem Schlangenkopf ins Freie. Tom drehte sie weiter und spürte das unkontro l lierte Zucken der Kiefer, als er die Schlange von innen her köpfte. Er stemmte das Maul mit der freien Hand auf, zog seinen Arm heraus und suchte in dem noch immer aufg e wühlten Wasser hektisch nach seinem Bruder.
Da stieg Vernon plötzlich, mit dem Gesicht nach unten, an die Oberfläche des Teiches auf. Tom packte ihn und drehte ihn auf den Rücken. Vernons Gesicht war rot, seine Augen geschlossen. Er wirkte wie tot. Tom zog ihn durch das Wa s ser zum Boot, und Pingo und Sally hievten ihn an Bord. Tom fiel hinter ihm her und verlor die Besinnung.
Als er wieder zu sich kam, beugte Sally sich über ihn. Ihr blondes Haar wogte über
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