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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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aufklären. Sie
hatten recht. Die Zigarette ist in der Tat eine russische Papirossi. Die
Papirossi – oder auch Papirosa – ist eine Zigarettenart, die
eigentlich aus Polen stammt, heutzutage aber zum Großteil in der ehemaligen
Sowjetunion hergestellt und geraucht wird. Sie gilt bis zum heutigen Tag als
die wahrscheinlich stärkste Zigarette der Welt. Bei der Herstellung wird, wie
Sie hier sehen, ein Mundstück aus Pappe geformt und nur der äußere Teil des
Röhrchens mit kurzfaserigem Presstabak, der sogenannten Machorka, gefüllt. Will
man rauchen, so knickt man das Pappröhrchen zwei Mal ein, sodass eine
Luftkammer entsteht, die den Rauch abkühlt. Bekannte Marken der Sorte sind
Belomorkanal und Herzegowina Flor, seinerzeit übrigens die Lieblingsmarke von
Josef Stalin. Das, was hier vor uns liegt, ist ganz eindeutig eine
Belomorkanal, wahrscheinlich aus dem Jahre 1984. Das Datum kann ich deswegen
relativ genau sagen, weil die Zigaretten oft zu einem ganz speziellen Anlass
hergestellt wurden.«
    »Ach, und
der wäre in diesem Fall?«, fragte Robert Suckfüll, der bereits fleißig
mitschrieb.
    »Es war
jedes Mal die Jungfernfahrt eines Schiffes der Nordmeerflotte der Sowjetunion.
Zu jeder Schiffstaufe wurde eine ganz spezielle Papirossi hergestellt und mit
einem besonderen Aufdruck versehen. Diese Zigaretten waren und sind bei
Sammlern sehr begehrt, da die Belomors ausschließlich an die Besatzung des
jeweiligen Bootes bei der Jungfernfahrt ausgegeben wurden. Dadurch war es sehr
schwer, an die Zigaretten heranzukommen. Einfacher wurde es, wenn ein
Schiffstyp sehr oft gebaut wurde, dann gab es die Zigaretten der gleichen Art
öfter. Aber diese Belomor hier ist extrem selten. Mein Kollege in Jena kann sie
deswegen so genau zeitlich einordnen, weil er über eine Liste aller Papirosas
verfügt, die für die russische Flotte hergestellt wurden.«
    »Tatsächlich?«,
meinte Fidibus erstaunt. »Und um was für ein Exemplar handelt es sich genau?«
    Philipp
Breithut setzte seine Nickelbrille wieder auf und hielt sich einen kleinen
Zettel, auf dem er etwas notiert hatte, dicht vor seine kurzsichtigen Augen.
    »Diese
Belomor ist deswegen so begehrt, weil es nur ein einziges Schiff gab, für das
diese Zigarette hergestellt wurde. Und zwar das russische U-Boot ›Komsomolez‹. Von
ihm wurden später keine weiteren Modelle gebaut. Warum und weshalb, das kann
ich Ihnen leider auch nicht sagen.« Er ließ das Papier wieder sinken und nahm
die Nickelbrille ab. »Das ist alles, was ich Ihnen jetzt und hier dazu
mitteilen kann, Herr Suckfüll«, vollendete Breithut seinen Vortrag.
    Doch das
war mehr, als Fidibus zu hoffen gewagt hatte. Überschwänglich bedankte er sich
bei Breithut und verabschiedete sich von dem stolzen neuen Besitzer eines
gefragten Sammlerstückes.
    Als der
Chef der Bamberger Kriminalpolizei vor der Ladentür stand, ließ er sich die
geballten Informationen noch einmal durch den Kopf gehen. Die Zigaretten
stammten also aus dem Jahr 1984 und waren an die Besatzung eines russischen U-Bootes
namens »Komsomolez« ausgegeben worden. Aber was hatte das alles mit einer
enthaupteten Leiche in einem Baunacher Gartenhaus zu tun? Grübelnd machte sich
Fidibus zurück auf den langen Weg zum Parkhaus.

Zurück in die Zukunft
    Inzwischen
war es dunkel geworden, und die Nacht legte sich wie ein schwerer Mühlstein auf
die Seele Haderleins. Als der Kriminalhauptkommissar mit seinem Landrover den
Berg von der Stufenburg durch den Dreck wieder hinabfuhr, merkte er, dass sich
so etwas wie Verzweiflung in ihm breitmachte. Sie kamen entweder nur in winzig kleinen
Schritten oder gar nicht voran. Auf dem Weg in die Dienststelle schaute er noch
kurz zu Hause in der Judenstraße bei seinem Weib vorbei. Doch die Mühe hätte er
sich sparen können. Seine liebe Manuela hatte ihm einen Zettel auf den
Küchentisch gelegt, auf dem geschrieben stand, dass sie zusammen mit Marina
Hoffmann den Abend, wahrscheinlich sogar die Nacht, bei Ute von Heesen
verbringen würde. Für alle Fälle habe sie ihren Schlafsack mitgenommen, er
solle sich keine Sorgen machen.
    Aber
genau die machte er sich, allerdings eher um Ute von Heesen. Er hatte sie heute
bereits zwei Mal kurz angerufen, um ihr den Stand der Ermittlungen, soweit sie
Bernd betrafen, mitzuteilen. Aber er konnte ihr so oft erzählen, wie er wollte,
dass Bernd seiner Meinung nach putzmunter mit seinem alten Sportkameraden
unterwegs war, allein, es fehlte ihr der Glaube. Im Gegensatz zu

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