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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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einem wilden Blick. »Glodzen werd ihr! Ich bin nämlich der
Auserwählte!«, rief er noch einmal wutentbrannt, dann stieg er auf sein Fahrrad
und fuhr laut grölend davon. Einen Moment lang klang es nach einem alten
Schnulzenhit der Münchner Freiheit, aber sicher war sich niemand auf dem Platz.
    Fidibus
hatte jetzt genug. Er warf das wurstlose Brötchen weg, das er immer noch in der
Hand hielt, und flüchtete sich in den Tabakwarenladen Breithut. Schwer atmend
presste er sich mit dem Rücken gegen die Glastür des Geschäftes und versuchte
das soeben Erlebte zu verdauen. Es war doch immer das Gleiche. Er brauchte
weder Zoo noch gefährliche Safaris in fremden Ländern, schon wenn man sich hier
in Franken außerhalb von geschlossenen Gebäuden bewegte, befand man sich in
einer anderen, seltsamen Welt. Eine Welt, die den Filmen aus seiner Kindheit
von Professor Grzimek oder der Serie »Daktari« nicht unähnlich war. Wenn er
ganz ehrlich war, wären ihm die echten Löwen sogar lieber gewesen.
    Wie auch
immer, als Robert Suckfüll sich einigermaßen gefangen hatte, schaute er sich in
dem Laden um. Er wirkte eher wie eine alte Apotheke als ein Tabakgeschäft. Auf
beiden Seiten des Raumes standen hölzerne Schränke mit unzähligen Schubfächern
aus altem dunklem Holz, die bis zur Decke reichten. Fidibus wollte gar nicht
darüber nachdenken, wie viele unbekannte Kostbarkeiten in diesen kleinen
Schüben mit den elfenbeinfarbigen Knöpfen lagerten. Dazu duftete es nach vielen
Jahrzehnten Tabakverkauf. Er, der mit der Nase eines Kenners gesegnet war,
fühlte sich plötzlich wie im siebten Himmel. Eine Aromenvielfalt, die einen zum
Verweilen und Träumen und vor allem Kaufen einlud. Für Fetischisten der
rauchenden Zunft eine ganz gefährliche Lokalität – vor allem für deren
Geldbeutel.
    Obwohl
Suckfüll Haderlein die Adresse des Ladens genannt hatte, kannte er diesen
bisher nur aus der Theorie. Breithut hatte ihm bisher seine wertvollen Zigarren
immer postalisch geschickt – und Robert Suckfüll bestellte nicht gerade
wenig davon, da er durch das Trockenrauchen mit meist anschließender
Zerbröselung im Büro stets einen hohen Schwund der teuren Havannas zu
verzeichnen hatte. Breithut kannte er bisher lediglich von seinen telefonischen
Bestellungen, wusste aber, dass der Mann in Fachkreisen einen außerordentlich
guten Ruf genoss. Zudem hatte ihm Philipp Breithut bisher alles Rauchbare
besorgen können, nach dem er verlangt hatte, und da war schon das eine oder
andere exotische Blatt dabei gewesen.
    Durch das
Klingeln der Eingangstür animiert betrat der Inhaber des Geschäftes seinen
Verkaufsraum. Robert Suckfüll war auf der Stelle enttäuscht: Philipp Breithut
war nicht gerade eine imposante Erscheinung, sondern ein kleines hageres
Männchen mit dünnen angegrauten Haaren, Stirnglatze und einer Nickelbrille auf
der Nase. Die untere Gesichtshälfte zierten circa einen Tag alte gräuliche
Bartstoppeln. Die Ärmel seines ebenfalls grauen Hemdes waren hochgeschlagen, um
den Bauch hatte er sich eine abgenutzte blaue Schürze gebunden. Der höchstens
eins sechzig kleine Mann hätte auch ein zäher, abgehärmter fränkischer
Dorfschmied sein können. Fidibus wusste im ersten Moment gar nicht, was er
sagen sollte. Über die Nickelbrille hinweg betrachtete ihn Breithut
abschätzend. Aus seinem fragenden Blick sprach ein ganzes Lebensalter an
Verkaufs- und Kundenerfahrung.
    »Werden
Sie verfolgt?«, fragte er höflich.
    Fidibus
schaute verdutzt, verließ dann aber die Tür und richtete sich in einer
Übersprungshandlung umständlich seine Krawatte.
    »Äh,
nein, nicht direkt beziehungsweise irgendwie doch. Ich bin gerade von einem
Verrückten umgerannt worden, der in sinnloser Lautstärke alte Schlager aus der
musikalischen Steinzeit –«
    »Von dem
Sänger?«, unterbrach ihn Breithut sofort. »Irgendwann wird den einer noch von
seinem Drahtesel schießen, den Depp. Das ist ja nicht zum Aushalten, wenn ich
ehrlich bin. Geradezu geschäftsschädigend.« Breithut redete sich in Rage, und
Fidibus war sehr erleichtert, eine geistige Verwandtschaft zwischen ihnen
entdeckt zu haben, was diesen brüllenden Affenmenschen dort draußen betraf.
    »Er
erwähnte irgendetwas davon, dass er der Auserwählte sei und so weiter?«
    Auf dem
Gesicht Breithuts erschien ein schmallippiges Grinsen, das jedoch so schnell
verschwand, wie es gekommen war, um einem strengen Ausdruck zu weichen.
»Auserwählt, sagt er? Das Einzige, wozu der jemals

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