Der Colibri-Effekt
Mann dieses Namens
gehört zu dem inneren Kreis der Hammerskins. Die Tatsache, dass Hans Kiesler
zusammen mit Rutger Kesselring und seinen Hammerskins irgendwann im Juli
letzten Jahres spurlos verschwunden ist, bereitet uns große Sorgen. Zwanzig
Personen, die unter strengster Beobachtung des Verfassungsschutzes standen,
waren von einem Tag auf den anderen unauffindbar. Die einzige Information, die
gerüchteweise in der Szene umhergeistert, besagt, dass Kesselring etwas ganz
Großes plant.«
Fidibus,
der sich zuhörenderweise bisher die Zeit mit seiner trockenen Zigarre
vertrieben hatte, fragte nun: »Und dieser Kesselring? Was weiß man ansonsten
über ihn und seine Absichten?«
Zobel
nahm die Frage dankbar auf. »Er ist ein brutaler, gewissenloser, aber auch
ziemlich gewiefter Hund. Seine Ambitionen reichen viel weiter, als nur
irgendwelche Ausländer zu verprügeln. Eigentlich kommt er aus dem Umfeld der NPD , hat sich aber schnell radikalisiert. Er will
nichts Geringeres als einen anderen, einen neu strukturierten deutschen Staat.
Sein erklärter Lieblingsgegner sind nicht etwa Araber oder afrikanische
Zuwanderer, nein, er will die Amerikaner als Besatzungsmacht bekämpfen. Das
übergeordnete Ziel ist die Befreiung Deutschlands von allen fremden
Besatzungsmächten, wie er sich ausdrückt. Alles, was an völkischen Säuberungen
dann noch zu erledigen wäre, ist für ihn zwar notwendig, doch nachrangig. Aber
wie schon gesagt, er ist seit fast einem Jahr verschwunden, und wir haben
keinen Anhaltspunkt, wohin. Im Zeitalter der modernen technischen Möglichkeiten
scheint er sich ein verdammt gutes Versteck ausgesucht zu haben«, schloss
Gregor Zobel frustriert.
Durch die
Kamera des ROV s konnte er sehen, wie sich der
Spalt um den Gefechtskopf herum mit einem kurzen Ruck weitete. Er hatte es
geschafft: Der erste Gefechtskopf war vom Rumpf abgetrennt. Nun musste er ihn
nur noch mit dem Greifarm nach vorn herausziehen. Die Anweisungen von Leontiew
waren genau und präzise gewesen, wenn man seine Äußerungen überhaupt als
Anweisungen verstehen wollte. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als er die Nazis auf
der Bäreninsel erkannt hatte, waren sie jedenfalls nicht mehr freiwillig
gewesen. Moen musste ihm eine Menge Geld geboten haben, dass sich der ehemalige
Offizier und hochdekorierte Held der russischen Nordmeerflotte zu Auskünften über
die Torpedokonstruktionen der »Komsomolez« überreden ließ. Zuerst hatten sie
ihn in dem Glauben gelassen, es handele sich um eine Fernsehdokumentation über
die »Komsomolez« und die radioaktive Verseuchungsgefahr, die von ihr ausging,
wenn sie noch länger im Meer vor sich hin rosten würde. Aber als Leontiew die
deutschen Skins sah, war der Ofen sofort aus. Sein Vater hatte gegen die
Deutschen im Zweiten Weltkrieg gekämpft und sein Leben verloren, und er sollte
jetzt diesen Nazis dabei helfen, eine russische Atomwaffe zu bergen? Das lag
weit jenseits seiner Vorstellungskraft, und er machte sofort klar, dass er ab
sofort schweigen würde wie ein Grab. Rutger und seine Gesellen bedachte er
dabei mit einem hasserfüllten Blick, der den Skins jedoch nur ein müdes Lächeln
entlockte.
Sie
zerrten Peter Leontiew, den ehemaligen Zweiten Offizier der »Komsomolez«, in
eine vorbereitete Baracke und banden ihn an einen Stuhl. Dag Moen holte eine
schwarze Schatulle aus seiner Tasche und klappte diese auf dem nebenstehenden
Tisch auf. Ihr Inhalt bestand aus kleinen Ampullen mit einer bläulich
schimmernden Flüssigkeit und einer Spritze, auf die Moen nun eine
Injektionsnadel schraubte. Dann ging er zu dem gefesselten Mann, stach ihm die
Nadel durch die Uniformjacke hindurch in den Oberarm und drückte umgehend den
gesamten Spritzeninhalt in Leontiews Muskelgewebe.
Moen trat
zurück, schraubte die Spritze ab und verpackte alles wieder säuberlich in der
schwarzen Schatulle. Das leere Fläschchen warf er achtlos in die Ecke. Mit einem
undurchsichtigen Lächeln kam er auf HG und Tom
zu, die alles mit angesehen hatten.
»Es gibt
zwei Gründe, warum Sie hier dabei sein dürfen, Jahn«, eröffnete ihm der
norwegische Waffenhändler, während die Augen Leontiews langsam glasig wurden
und sich seine angespannte Haltung lockerte.
»Erstens
werden Sie nun hören und sich merken müssen, was uns der leider bisher etwas
unkooperative Offizier zu erzählen hat. In ein paar Minuten wird er all das
ausplaudern, was Sie wissen müssen, um den Gefechtskopf des Torpedos mit Ihren
wunderbaren
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