Der Colibri-Effekt
hob nach einem kurzen
Kopfnicken Rutgers seine Pistole, presste sie dem sabbernden ehemaligen
Offizier gegen den Hinterkopf und drückte ab. Im gleichen Moment, in dem der
tote Leontiew mit seinem Stuhl nach vorn auf den verdreckten Boden der Baracke
kippte, klinkte sich Tom Romoeren aus dem Geschehen aus. Er drehte sich um,
stieß den überraschten Moritz Kiesler zur Seite und rannte ins Freie.
»Tom,
nicht!«, rief HG und wollte ihm hinterherlaufen,
doch Dag Moen hatte blitzschnell seine Waffe gezogen und richtete sie auf
seinen Kopf. Moritz Kiesler hatte sofort Toms Verfolgung aufgenommen, aber von
draußen hörte man keinerlei Schüsse oder sonstige Geräusche. Im Gegenteil: Eine
endlos lange Minute herrschte absolute Stille. Als Moritz zurückkam, klebte
Blut an seiner Machete.
Der
Zwilling ging auf HG zu und lächelte ihn
provozierend an. »Viel Futter für die Fische heute«, sagte er leise. Es war ihm
anzusehen, dass er es am liebsten gesehen hätte, hätte der große Deutsche auch
gleich die Flucht ergriffen. Doch HG blieb ruhig.
Von außen war ihm keine Regung anzusehen, aber in seinem Inneren tobte ein
Orkan. Er durfte sich jetzt nicht gehen lassen, auch wenn sie Tom umgebracht
hatten. Er durfte nicht zeigen, wozu er fähig war. Noch nicht.
»Im
Lichte dieser Fakten habe ich mir Ihre zugegebenermaßen auf den ersten Blick
sehr gewagte Theorie durch den Kopf gehen lassen«, sagte Zobel. »Ihr Verdacht
klang zuerst einmal unwahrscheinlich, aber wenn auch nur ein Körnchen Wahrheit
dran ist, dann haben wir ein verdammt großes Problem am Hals. Vor allem, weil
sich nach westlichen Geheimdienstinformationen der Iran immer häufiger externer
Terrorgruppen bedient, um den Amerikanern zu schaden, wo es nur geht. Rutger
mit seinen Hammerskins wäre im Prinzip für den Iran ein ideales, quasi
ferngesteuertes Instrument, um einen Terroranschlag im Sinne Teherans zu
verüben. Ideologien sind dem Iran in dieser Hinsicht völlig egal, denn es zählt
nur eines: den Amerikanern zu schaden. Franken ist übersät mit amerikanischen
Militäreinrichtungen, aber nicht nur Franken. Es gibt ja auch noch Grafenwöhr
oder – noch lohnender – Ramstein in der Pfalz. Das wäre die Dimension
Terroranschlag, die Teheran gefallen würde. Noch dazu könnten die Iraner alles
abstreiten und ihre Hände in Unschuld waschen. Das ist auch der Grund, warum
ich im Rahmen meiner Möglichkeiten ein paar Erkundigungen eingezogen habe, die
mich zu bemerkenswerten Erkenntnissen geführt haben.« Zobel richtete sich nun
ebenfalls in seinem Stuhl auf.
»Aha«,
sagte Haderlein wieder verblüfft.
»Durch
unsere Kontakte zum russischen Geheimdienst konnten wir mittlerweile in
Erfahrung bringen, dass von den drei noch lebenden Besatzungsmitgliedern der
›Komsomolez‹ der ehemalige Zweite Offizier Peter Leontiew spurlos verschwunden
ist.«
Haderlein
nickte schweigend mit großen Augen.
»Aber das
ist für die Russen leider noch kein Grund, an der ›Komsomolez‹ nach dem Rechten
zu sehen und beispielsweise einen Satelliten für eine Überprüfung der
Radioaktivität an der Bäreninsel zu programmieren. Nun gut. Aufgrund Ihrer
Vermutung, Haderlein, haben wir die norwegische Regierung um Satellitenbilder
der Region Svalbard gebeten, die ja Spitzbergen sowie die Bäreninsel umfasst.
Auf diesen Bildern konnte an der Südküste der Bäreninsel eine Siedlung
ausgemacht werden, die aus ehemaligen Bergarbeiter-Behausungen errichtet wurde.
Dies ist umso erstaunlicher, weil die Insel bereits vor vielen Jahren zum
Naturschutzgebiet erklärt wurde und dort eigentlich niemand mehr etwas verloren
hat. Allerdings konnte der Satellit keine Menschen feststellen. Lediglich im
Norden der Insel gibt es eine offizielle bemannte norwegische
Forschungsstation. Wir haben die Norweger heute morgen gebeten, auf der Insel
vorsichtshalber nach dem Rechten zu sehen.«
»Und was
ist jetzt mit der ›Komsomolez‹?«, fragte Haderlein neugierig.
Gregor
Zobel zuckte etwas ratlos mit den Schultern. »Tja, das ist die große Frage: Was
ist mit der ›Komsomolez‹?«
Mit dem
Roboterarm des ROV s griff er vorsichtig in den
breiten Spalt, der sich am Kopf des Torpedos gebildet hatte, und zog.
Widerstandslos löste sich der Gefechtskopf von der Antriebseinheit und rutschte
zu einem Drittel heraus. Doch dann zog Jahn den Roboterarm wieder zurück und
ließ den Torpedo in der Hülle des durchtrennten Rumpfes liegen.
»Was ist
los, wieso macht er nicht weiter?«, knurrte
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