Der Colibri-Effekt
nicht mehr
unter, zum anderen musste er Tom erst einmal die Sachlage mit der nuklearen
Fracht der »Komsomolez« erklären. Sein Freund reagierte panisch und wollte
sofort das Schlauchboot kapern, doch er konnte ihn gerade noch davon abhalten.
Überall waren bewaffnete Hammerskins postiert, die mit Sicherheit nicht zögern
würden, auf alles zu schießen, was sich unerlaubt den Booten näherte.
Die
Situation war gänzlich abstrus, und die Szenerie auf der an sich idyllischen
Bäreninsel erinnerte Jahn an die Jack London-Romane, die er in seiner
Jugendzeit verschlungen hatte und die zur Goldgräberzeit in Alaska gespielt
hatten. Aber das hier war leider kein romantisches Abenteuer, das war ein
ausgewachsener Alptraum.
Als
Haderlein in die Dienststelle kam, hob er erstaunt die Augenbrauen. Im
Glasgehäuse von Fidibus unterhielt dieser sich gerade angeregt mit einem
unbekannten Mann. Haderlein warf den beiden einen Blick zu und steuerte dann
geradewegs Huppendorfer an, der ihm schon mit einem Computerausdruck winkte.
»Hier
hast du dein Bildchen, Franz. Dietmar Jahn hat mal Handball gespielt, ich hab dir
einen Ausschnitt vom Mannschaftsfoto vergrößert.«
Haderlein
riss ihm den Ausdruck aus der Hand und betrachtete das Gesicht eines
sportlichen jungen Mannes mit langen blonden Haaren. Der Vergleich mit dem
Phantombild erübrigte sich. Die erste Leiche, die sie im Gartenhaus des Barons
gefunden hatten, war zweifelsohne Dietmar Jahn, der Stiefbruder von Hildegard
und Hans Günther Jahn. Das Bild wurde schärfer. Hildegard und Helga hatten ihn
wahrscheinlich nicht als vermisst gemeldet, weil sie nicht wollten, dass sein
Tod publik wurde. Aber warum? Die Antwort auf diese Frage stand noch aus.
»Mein
lieber Franz, könnten Sie bitte mal kommen?« Robert Suckfüll stand in der Tür
des gläsernen Büros und winkte ihm zu, während ihn der fremde Mann aus dem
Inneren abwartend ansah.
Als
Haderlein im Büro Platz genommen hatte, stellte ihm sein Chef den Mann als
Gregor Zobel vom Staatsschutz aus Nürnberg vor.
»Vom
Staatsschutz?« Erstaunt schaute Haderlein Fidibus an.
»Nun, nur
weil ich eine Theorie für abwegig halte, kann ich sie ja dennoch über halbwegs
offizielle Kanäle abklopfen lassen, oder etwa nicht?« Fidibus lächelte
spitzbübisch. »Und Herr Zobel hier war so nett, ein bisschen für mich zu
klopfen. Mit dem Ergebnis, dass er sofort den Weg zu uns gesucht und gefunden hat.«
»Aha«,
sagte Haderlein und legte das Bild von Dietmar Jahn erst einmal auf die Seite.
Es schien sich noch etwas sehr viel Bedeutenderes anzubahnen.
»Allerdings«,
ergriff nun Gregor Zobel das Wort. »Herr Suckfüll hat mir von Ihrer Theorie mit
der »Komsomolez« erzählt, und ich habe daraufhin ein wenig im Nebel
herumgestochert.«
Haderlein
steuerte ein weiteres »Aha!« bei, während seine innere Anspannung wuchs.
Anscheinend war doch etwas dran an seiner Vermutung.
»Sie
müssen wissen, Herr Haderlein, dass ich mich vonseiten des Staatsschutzes im
Moment sehr stark mit der rechtsradikalen Szene in Nordbayern und Thüringen
beschäftige. Dort gehen im Moment, gelinde gesagt, recht seltsame Dinge vor.
Und als mir Herr Suckfüll die Eckdaten Ihres Mordfalles geschildert hat,
begannen bei uns etliche Warnleuchten zu blinken.«
Haderlein
wollte wieder einen erstaunten Ausruf absondern, konnte ihn sich aber gerade
noch verkneifen und hörte schweigend weiter zu.
»Zum
einen konnten wir über die letzten Jahre ein massives Anwachsen der Hammerskins
in Franken beobachten, das ist eine der radikalsten und militantesten Gruppen
in der Neonazi-Szene. Ihr Kopf ist ein gewisser Rutger Kesselring aus
Wunsiedel, der einen extrem gefährlichen und elitären Kern innerhalb der
Hammerskins aufgebaut hat, der den Namen ›Division Hess‹ trägt. Die Gruppe wird
verdächtigt, an mindestens dreizehn Morden in ganz Deutschland aktiv oder
zumindest unterstützend mitgewirkt zu haben. Allerdings agieren die Nazis unter
ihrem Kopf Rutger so dermaßen clever, dass wir es nicht einmal mit größter
Anstrengung geschafft haben, dort einen V-Mann zu installieren. Wir standen
kurz davor, aber dann wurde der Kontakt in einem Waldstück in der Nähe von
Gräfenberg enthauptet aufgefunden.«
»Aha,
enthauptet also«, entfuhr es Haderlein nun doch wieder, und er setzte sich
ruckartig in seinem Bürostuhl auf.
»Genau,
die erste Parallele zu Ihrem Fall«, bestätigte ihm Gregor Zobel mit einem
Kopfnicken. »Die zweite ist der Name Hans Kiesler. Ein
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