Der Consul
dem Magenkrebs meldete sich, ich kämpfte gegen sie an. Ein Auto fuhr vorbei, ich duckte mich, um nicht gesehen zu werden. Im Rückspiegel sah ich die roten Leuchten des Wagens in den Nebel eintauchen und verschwinden. In der Ferne schwoll das Rattern eines Zugs an, dann wurde es leiser. Es war Ruhe. Ich fühlte, wie die Müdigkeit mich ankroch. Ich lehnte mich zurück und legte die Arme hinter den Nacken. Ich würde nicht einschlafen, höchstens dösen, es war nicht die erste Beschattung.
Erinnerungen meldeten sich. Ich dachte an Berg, an die Tage in Zöblitz, an Sofias Karte, die auf dem Wohnzimmertisch lag und mir ein Rätsel aufgab. War ich niedergeschlagen und erschöpft, begriff ich die Karte als Abschied. War ich ausgeschlafen und gut gelaunt, verstand ich sie als Liebeserklärung, als Aufforderung, ihr zu folgen. Rübezahl stellte mich vor ein anderes Rätsel. Seine Andeutungen sagten mir, ich sollte den Fall abschließen. War er sich sicher? Oder reihte er Vermutung an Vermutung? Ich dachte an Fleischers Vorschlag, eine Kur anzutreten. Weit weg, alles in Ruhe durchdenken, vielleicht den Abschied einreichen. Ein ehemaliger Kommissar mit tadelloser Personalakte hatte immer eine Chance, einen anderen Beruf zu ergreifen.
Ein Lichtkegel fiel auf die Straße. Ich schaute auf die Uhr, doch ich konnte das Zifferblatt nicht erkennen. Meine Hand zitterte auf dem Lenkrad. Das Tor öffnete sich, ein Maybach glitt auf die Straße, ein Summen nur zeigte an, dass der Motor lief. Der Wagen kam mir entgegen und fuhr langsam vorbei, ich duckte mich wieder und linste. Es saßen zwei Männer im Wagen, der eine hinter dem Steuer, der andere auf der Rückbank. Der hinter dem Steuer hatte kurzgeschorene schwarze Haare, Pockennarben und eine Boxernase.
Ich ließ dem Maybach einen Vorsprung, dann fuhr ich ihm hinterher. Es ging in gemächlichem Tempo über die AVUS Richtung Charlottenburg. Wir passierten die Deutschlandhalle, dann führte mich der Maybach über Schmargendorf und Dahlem nach Steglitz. Dort bog er in nordöstlicher Richtung ab, Schöneberg, Neukölln waren die nächsten Stationen. Ich zündete mir eine Zigarette an und begann zu staunen. Von Neukölln aus steuerte der Chauffeur des Maybach nach Britz. Als wir länger als eine Stunde durch Berlin gefahren waren, wandelte sich mein Staunen in die Erkenntnis, dass ich an der Nase herumgeführt wurde. Die beiden Männer kurvten durch die Gegend, sie schienen kein Ziel zu haben. Wenn sie einen Verfolger abschütteln wollten, hätten sie es längst versuchen müssen. Dann sagte ich mir, die wollen dich einschläfern. Sie wollen, dass du glaubst, sie fuhren spazieren. An irgendeiner Ecke werden sie Gas geben, irgendeine Situation werden sie nutzen, um einen möglichen Verfolger abzuschütteln. Ich musste meine müden Augen offen halten.
Über Britz ging es nach Lichtenberg, von dort zum Alexanderplatz, den sie zweimal umkurvten. Ich sah das Polizeipräsidium und fühlte mich verschaukelt. Unter den Linden bis zur Friedrichstraße, dort hinein nach Norden, dann in die Invalidenstraße, vorbei an Charité und Lehrter Bahnhof. Als wir Altmoabit erreichten, wusste ich, was folgen würde. In der Zinzendorfstraße fuhren sie im Schritttempo an dem Haus vorbei, in dem meine Wohnung war. Mir war nicht klar, ob sie wussten, dass ich sie verfolgte, oder ob sie nur darauf spekulierten. Wut stieg hoch in mir. Und mit ihr die Ahnung, dass in dem Maybach irgendwelche Leute saßen, nur nicht Olendorff. Der schlief längst oder trieb sich dort herum, wo er nicht beobachtet werden wollte.
Auf der Leibnizstraße musste der Maybach bremsen, ein Brauereilastwagen stand an der Seite. Zwei Autos kamen uns entgegen. Ich hielt mit einigem Abstand an. Als der Gegenverkehr vorbei war, blieb der Maybach immer noch stehen. Aus der Ferne näherten sich weitere Autos auf der Gegenfahrbahn. Kurz bevor sie auf Höhe des Lasters angekommen waren, sah ich die dunkle Wolke aus dem Auspuff des Maybach. Der Fahrer trat das Gaspedal durch, ich hörte die Reifen quietschen. Er zog an dem Lastwagen vorbei und raste auf die entgegenkommenden Autos zu. Er zwang sie zu bremsen und setzte den Wagen wieder auf die rechte Seite. Nun hatte er mich doch überrascht, ich verlor einige Schrecksekunden, glaubte, es gebe einen Frontalzusammenstoß. Ich sah noch, wie die Rücklichter des Maybachs erloschen, dann war er weg.
Ich musste einen Augenblick warten, um an dem Lastwagen vorbeizukommen. Als ich ihn passiert
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