Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
die, um die es mir ging. Es gab jedenfalls nicht den geringsten Beweis dafür. York alias Alexander war vielleicht ein Spitzel des M-Apparats, aber ein Mörder? Mich hatte er am Leben gelassen. Woher kannte der Polizeipräsident den Aliasnamen von York? Er wusste mehr als unser Erkennungsdienst. Irgendwelche Leute ließen mich strampeln. Es schien so, als schauten sie zu, was ich zuwege brachte. Hin und wieder setzte es eine Ermahnung, aber sonst ließen sie mich in Ruhe. Doch es war eine trügerische Ruhe, sobald die neuen Herren fest im Sattel saßen, würden sie mir befehlen, was Rübezahl mir empfohlen hatte: Ermittlungen abschließen, Ende, aus.
    Im Präsidium kam mir Wohlfeld auf der Treppe entgegen. »Wegner hat die Beschattung übernommen, Herr Kommissar. Ich löse ihn um acht Uhr ab.«
    »Die Nachtschicht übernehme ich, ab Mitternacht«, sagte ich.
    »Das ist nicht nötig«, erwiderte Wohlfeld.
    »Doch«, sagte ich. »Wegner soll mich um sechs Uhr am Morgen ablösen.«
    Wohlfeld schaute mich fragend an und stieg die Treppe weiter hinunter. Ich wollte fragen, wohin er ging, aber ich schwieg. Als ich an meinem Schreibtisch saß, spielte ich durch, wie es wäre, nach Straßburg zu fliehen. Vielleicht war Sofia längst woanders. Oder sie hatte einen Liebhaber. Oder ich hatte ihre Karte falsch verstanden. Womöglich war sie ein Abschiedsgruß, ein Dankeschön, mehr nicht.
    Ich hörte Frau Wuttke tippen. Der Rhythmus beruhigte mich, es hörte sich an, als wäre nichts geschehen. Ich beschloss, so zu tun, als gäbe es keinen Grund, irgend etwas zu ändern. Meine Aufgabe war es, Mörder zu fangen. Und nur die Strafprozessordnung und der Staatsanwalt konnten mir Grenzen setzen. Es sei denn, Melcher schmiss mich raus. Aber ich war Beamter, Beamte waren unkündbar. Er konnte mich versetzen. Na wenn schon. Im Krieg hatte ich jeden Tag mein Leben riskiert, hier riskierte ich, die nächsten Jahre bei der Sitte zu arbeiten. Je länger ich nachdachte, um so mehr wuchs meine Entschlossenheit. Außerdem konnte irgendwann alles anders kommen, und es war nicht auszuschließen, dass mir einmal jemand einen Strick drehen würde, wenn ich jetzt den Weg verließ, den ich gehen musste. Ich war ein sturer Bock.
     

XII.
    D ie Weinstube war fast leer, ein Wunder, dass sie noch nicht pleite war. Wer konnte sich heutzutage schon Wein und ein Essen im Restaurant leisten? Da half es auch nicht viel, dass der Wirt vom Fröhlichen Postillion die Preise gesenkt hatte.
    »Lange nicht gesehen, Herr Kommissar«, sagte der Wirt. Er zog an seinem mächtigen Schnauzbart. »Einen Württemberger Roten?«
    Ich nickte.
    Er brachte das Viertel. »Zum Wohl«, sagte er. Er wusste, ich würde das Essen erst bestellen, wenn Fleischer eingetroffen war. »Der Herr Doktor kommt ja immer ein bisschen später.«
    Diesmal waren es zwanzig Minuten. Fleischer sah gehetzt aus. »Ein Notfall!« sagte er. Es klang nicht nach einer Entschuldigung.
    Wir bestellten Rinderbraten mit Kartoffelklößen und Mischgemüse.
    »Willst du auch den Kaiser zurückholen?« fragte ich ihn.
    Er tippte sich an die Stirn. »Wie kommst du denn auf diesen Unfug?«
    »Ich habe so was gehört.«
    »So was höre und lese ich jeden Tag. Wenn nur der Krieg nicht gewesen wäre. Wenn nur der Kaiser wiederkäme. Wenn wir nur den Krieg gewonnen hätten. Wenn uns nur die Heimatfront nicht verraten hätte. Wenn uns nur die Russen nicht angegriffen hätten. Willst du noch ein paar Sprüche hören?«
    Ich winkte lachend ab. »Aber so ganz falsch ist das ja nicht.«
    »Was?«
    »Vor dem Krieg ging es uns besser. Und schuld am Krieg sind die Russen. Das haben sogar die Sozialdemokraten zugegeben.«
    »Du lernst es nie«, sagte Fleischer. »Schuld am Krieg sind die Umstände, und die hat die damalige Reichsregierung zu verantworten. Blankoscheck an Österreich! Aber lass, wir werden uns nie verständigen. Da geht es uns wie dem Völkerbund.«
    Wir stritten uns jedes Mal, und jedes Mal über das Gleiche. Alle Parteien und Verbände außer der Kommune wiesen den Vorwurf zurück, Deutschland sei schuld am Krieg. Nur Außenseiter machten sich unbeliebt, weil sie das Gegenteil behaupteten. Fleischer ließ sich nicht umstimmen, und innerlich gestand ich mir ein, er könnte recht haben, gewiss nicht in allem, aber manches stimmte mich bedenklich.
    »Die Reichsregierung hat den Engländer in den Krieg gezogen, weil Moltke unbedingt durch Belgien marschieren wollte«, sagte Fleischer.
    »Das war Schlieffens

Weitere Kostenlose Bücher