Der Consul
sagte ich, als wir angekommen waren. Fleischers Wohnung lag im ersten Stock. Als der Mann zur Haustür ging, schaute ich auf die Uhr. Ihr Glas war gesplittert, die Zeiger standen auf halb fünf. Es dauerte eine Weile, dann sah ich Licht in einem Fenster. Es öffnete sich, Fleischer schaute hinunter auf die Straße und rief: »Was soll das Geklingel?«
»Ich habe einen Verletzten im Auto. Sie müssen ihm helfen.«
»Verfluchte Scheiße!« donnerte Fleischer. »Können die Irren sich nicht den Kopf einschlagen, wenn ich Sprechstunde habe?« Das Fenster ging zu, und kurz darauf öffnete sich die Haustür. Fleischer trug einen Morgenmantel, die grauen Haare standen wirr nach allen Seiten. Er schaute ins Auto und erschrak. »Was hast du denn angestellt? Bist du unter einen Laster gekommen?« Er erwartete keine Antwort, öffnete die Beifahrertür und schnauzte meinen Begleiter an: »Nun helfen Sie schon!«
Sie stützten mich an beiden Seiten und brachten mich ins Behandlungszimmer.
»Ausziehen!« sagte Fleischer. »Geht es?«
Der kleine Mann half mir, den Mantel abzulegen. Dann befreite er mich vom Jackett. Er war fürsorglich.
»Wer sind Sie?« fragte ich ihn.
Er lächelte. »Nun lassen Sie sich erst mal versorgen, dann erzähle ich es Ihnen.«
Fleischer half mir beim Entkleiden, dann untersuchte er meine Verletzungen. Er hörte mich ab und überprüfte, ob sich alle Gelenke bewegten. »Derbe Prellungen. Das Ohrläppchen bist du los, ich bin mir noch nicht sicher, ob dich der Verlust hässlicher macht.«
»Danke«, knurrte ich.
Er lachte. »Zwei Rippen sind angebrochen. Ich schreibe dich krank, das hätten wir ja sowieso machen sollen. Die Verletzung am Ohr nähe ich gleich.«
Es brannte und stach, als er die Wunde desinfizierte und nähte. Tränen standen mir in den Augen. Als Fleischer fertig war, gab er mir eine Schachtel Schmerztabletten. »Nun lass dich von deinem Freund ins Bett bringen. Und morgen früh trittst du hier wieder an zur Kontrolle.«
»Zu Befehl, Herr Generalfeldscher«, sagte ich und legte meine Hand an die Schläfe. Die Bewegung schmerzte, und eigentlich war mir nicht lustig zumute.
Mein Helfer brachte mich nach Hause. »Wie heißen Sie?« fragte ich, als ich auf dem Bett lag.
»François Aschbühler.«
Jetzt fiel mir ein, wo ich den Dialekt schon einmal gehört hatte. Als ich im Krieg Kameraden einer elsässischen Kompanie getroffen hatte.
»Sie stammen aus dem Elsass«, sagte ich.
»Respekt«, sagte Aschbühler. »Ich bin ein Mitarbeiter von Agence France Press, der französischen Nachrichtenagentur. Wir beliefern Zeitungen in Frankreich mit Nachrichten aus Deutschland. Wissen Sie, die Franzosen sind sehr interessiert an allem, was in Deutschland geschieht.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich.
Er schaute mich neugierig an, dann grinste er.
»Waren Sie im Krieg?«
»Ich war ein kleiner Caporal, Verdun und am Chemin des Dames. Es ist dem Maréchal Foch nicht gelungen, mich zu verheizen.«
»Ich dachte, Sie hätten auf unserer Seite gekämpft. Sie sind doch Deutscher.«
»Ich zog es vor, für die Grande Nation in den Krieg zu ziehen. Und ich hatte recht. Wir haben gewonnen.« Er kicherte.
»Und wie kommen Sie dazu, mich aus diesem Keller zu holen?«
»Ich bin Ihnen gefolgt, ganz einfach. Ich habe gesehen, wie Sie diesem großen Wagen nachgefahren sind, und wollte mal
schauen, was es gibt.«
Das Atmen tat weh, der Schmerz weckte meinen Zorn.
»Vielleicht lassen Sie sich nicht jede Silbe aus der Nase ziehen.«
»Wie Sie belieben. Ich bin Ihnen gefolgt, weil Sie die Mordfälle Hitler, Röhm, Goebbels und Strasser bearbeiten. Das ist die Auskunft aus Ihrem Polizeipräsidium. Sie können sich leicht vorstellen, wie begierig meine Landsleute sind, zu erfahren, wer dahintersteckt. Und weil Sie der Kommissar sind, habe ich mich an Ihre Fersen geheftet. Ich bin ein Journalist, Sie verstehen.«
Ich glaubte ihm kein Wort. »Ein bisschen ungewöhnlich arbeiten Sie schon, Sie Journalist.«
Er nickte. »Das sagen meine Kollegen auch immer. Sie sagen, François, du übertreibst. Es kostet dich noch Kopf und Kragen. Die Kollegen haben recht, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Auf meinem Grab wird stehen: Er wollte alles wissen.«
Ich versuchte, nicht zu lachen.
»Wie schön, dass Sie schon wieder lachen wollen«, sagte er. »Sie haben eine robuste Natur. Ich bin ohnehin längst ein Bewunderer Ihrer Person und Ihrer Arbeit. Schauen Sie nicht so. Sie haben Unschuldige aus dem
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