Der Consul
Gefängnis befreit. Sie haben einen Oberreichsanwalt überfallen und gefesselt. Das hätte ich sehen mögen. Ich fürchte, Ihre Juristen sind fast genauso schrecklich wie unsere. Obwohl, das muss man sagen, nichts geht über französische Richter und Anwälte. Was glauben Sie, wie gerne ich schon Advokaten ermordet hätte.« Er lachte fröhlich.
Mir wurde unwohl. Ich wusste nicht, ob es der Schreck war oder die Verletzungen. Ich schleppte mich ins Bad und übergab mich. Er stand hinter mir und reichte mir ein Handtuch. Ich wusch mir das Gesicht und ging zurück ins Schlafzimmer.
»Ich will Sie nicht auf die Folter spannen«, sagte er. »Wir haben eine gemeinsame Bekannte, die hat mir von Ihnen erzählt. Mit leuchtenden Augen. Ich glaube, sie findet Sie nicht nur sympathisch. Eine schöne Frau, ich beneide Sie«, sagte er.
»Sofia«, sagte ich. »Sofia Schmoll.« Es rutschte mir heraus.
Er schaute mich lächelnd an. »Wie sagten Sie, Sofia Schmoll?«
Ich starrte ihn an.
»Die kenne ich nicht.« Er griff in die Innentasche seines Jacketts. Er zog ein Foto hervor und reichte es mir. Es zeigte Sofia.
»Aber das ist Sofia.«
»Nein«, sagte er. »Das ist Selma Schmandt. Ich kenne die Dame seit vielen Jahren.« Er sah mich an, als käme ich von einem anderen Stern.
Wenn dieser Mann Journalist war, dann war ich Koch im Hotel Kaiserhof. Aber wer war dann Sofia oder Selma? »Sie sind ein Spion«, sagte ich.
»So würde ich das nicht nennen«, sagte er und schüttelte den Kopf.
»In einer Tasche im Jackett sind Zigaretten und Streichhölzer, in der Küche finden Sie einen Aschenbecher, Gläser und eine Flasche Weinbrand.«
Er holte die Sachen. Dann zündete er mir eine Zigarette an, obwohl ich das selbst gekonnt hätte. Nachdem er sie mir in den Mund gesteckt hatte, goss er uns ein. Er hob sein Glas, nickte mir zu und trank es in einem Zug aus. Gleich schenkte er sich nach und trank auch das zweite Glas in einem Zug aus. »Ich muss meine Geschmacksnerven betäuben, sonst kann man dieses Zeug nicht trinken«, sagte er entschuldigend.
»Sie sind ein Spion«, wiederholte ich.
»Ich sammle Nachrichten. Das tut man als Journalist.«
»Dann sind Sie so was wie ein Journalist Ihrer Regierung.«
Er lächelte. »Diese Beschreibung hätte von mir stammen können.«
»Sie haben mich verfolgt.«
»Ja.«
»Warum?«
»Wir interessieren uns für die gleichen Dinge. Außerdem, ich fürchtete, Sie würden in eine Falle tappen.«
Ich muss wenig schlau geguckt haben.
»Glauben Sie wirklich, so einer wie Olendorff lässt sich einfach beschatten?«
»Aha.«
»Hätten die Sie umgebracht, dann würden Sie nie herauskriegen, wer Hitler und seine Kameraden getötet hat. Aber wir wollen das wissen.«
»Wir?«
»Zum Beispiel Selma und ich.«
»Warum, es kann Ihnen doch gleichgültig sein.«
»Verzeihen Sie mir, Sie sind, wie Selma Sie beschrieben hat. Sagen wir, ein bisschen naiv. Wir Franzosen haben nur vor einem Angst, und das ist Deutschland. Einige wenige, und gestatten Sie mir die Bemerkung, ich zähle zu diesen wenigen, glauben, der Versailler Vertrag war kein Friedensvertrag, sondern die Vorbereitung eines neuen Kriegs. Man darf ein so großes Land wie Deutschland nicht demütigen. Schon gar nicht, wenn man es zum Nachbarn hat. Da war Ihr Bismarck klüger. Dass wir uns Elsass-Lothringen zurückgeholt haben, Sie werden es mir als französisch fühlendem Elsässer bitte nachsehen, mag man verstehen. Vielleicht auch noch Rüstungsbegrenzungen, die sicherstellen, dass Ihr Land nicht wieder über meines herfällt. Aber alles andere bedeutet, einen Tiger zu quälen, dem man irgendwann einmal auf freier Wildbahn wieder begegnen könnte. Ich habe mal gehört, Tiger hätten ein ungeheures Gedächtnis.«
»Woher kennen Sie Olendorff?«:
Er dachte einen Augenblick nach. »Ich habe die Kameraden der Interalliierten Militärkommission gefragt und noch diesen und jenen. Außerdem habe ich Reichstagsdebatten verfolgt und Zeitungen gelesen. Die Zusammenhänge sind eindeutig. Olendorffs Berliner Armaturenfabrik baut schwere Artillerie und Panzergeschütze in Russland. Beides ist Deutschland nicht gestattet. Leider, wie ich hinzufügen möchte.«
»Und wer ist Sofia oder Selma?«
»Sie kennen sie doch.«
»Bis vorhin habe ich das geglaubt.« Ein Stechen durchzuckte meinen Oberkörper. Ich schnaufte.
»Sie überanstrengen sich. Sie sollten schlafen.«
»Wer ist sie?«
»Eine Landsmännin, sie lebt in Straßburg. Hat sie Ihnen das
Weitere Kostenlose Bücher