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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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froh, wenn er einigermaßen heil aus so etwas herauskommt.«
    Ich hätte ihm ins Gesicht schlagen können.
    »Herr Kommissar, sind Sie alle Ihre Fragen losgeworden?« fragte Olendorff. »Ich würde mich jetzt gern mit dem Herrn Ministerpräsidenten unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    Ich drehte mich um und verließ das Zimmer. In der Eingangshalle erwartete mich mit blasierter Miene der Butler. Wortlos öffnete er die Haustür.
    *
    Ich nahm die S-Bahn. Auf der Bank mir gegenüber schnarchte ein Betrunkener. Am Bahnhof Zoo stiegen vier SA-Männer ein. Sie gingen mit misstrauischen Blicken durch den Wagen. Einer sah den Betrunkenen und stieß ihn grob an. Der Mann öffnete zögernd die Augen. Zwei SA-Männer rissen den Betrunkenen hoch. »Solche asozialen Typen wollen wir nicht sehen in einer deutschen S-Bahn!« brüllte einer. »Wir schmeißen ihn raus!«
    Ich nestelte in den Taschen, bis ich meinen Dienstausweis gefunden hatte, und hielt ihn dem nächsten Braunhemd unter die Nase. »Lassen Sie den Mann in Ruhe. Er hat niemandem etwas getan!«
    »Das ist ein besoffenes Schwein«, sagte ein Brauner in meinem Rücken.
    Die drei anderen zerrten den Mann in Richtung Tür. Der Mann hinter mir folgte ihnen und rüttelte an den Türgriffen. Ich zog meine Pistole aus dem Halfter und lud durch. »Lassen Sie den Mann los!« Ich spürte die Wut in mir. Sie war schon lange da, jetzt brach sie aus. Die SA-Männer sahen mein Gesicht. Einer fasste an seine Pistolentasche. Ich zuckte nur kurz mit der Pistole, die Hand verschwand in der Hosentasche. Sie ließen den Mann los, er fiel auf den Boden, stand dann wankend wieder auf. Er hangelte sich von Rückenlehne zu Rückenlehne, bis er vor mir stand. »Aber ich bin doch ein Säufer«, sagte er. Dann ging er vorbei. Ich behielt die SA-Männer in den Augen, sie standen auf dem Platz zwischen den beiden Türen. Als wir die Station Alexanderplatz erreichten, befahl ich: »Raus! Nebeneinander!« Ich folgte ihnen mit der Waffe in der Hand. Eine alte Frau kam uns entgegen und schlug die Hand vor den Mund. Als wir die Pforte des Präsidiums erreichten, rief ich Polizeibeamte und befahl, die SA-Männer zu entwaffnen, erkennungsdienstlich zu behandeln und in Polizeihaft zu nehmen. Ich wollte mich später um sie kümmern. Nach einem strengen Verhör zur Einschüchterung würde ich sie laufenlassen müssen. Sie würden behaupten, sie hätten dem Mann nur einen Schreck einjagen wollen. Aber soweit war es noch nicht, dass Menschen, die besoffen in der S-Bahn schliefen, angefallen werden durften. Nicht einmal von Hilfspolizisten in Görings Land.
    Frau Wuttke erwartete mich bereits. Sie schaute auf die Wanduhr.
    »Sie sollen in einer halben Stunde beim Herrn Präsidenten sein.«
    »Seit wann wissen Sie das?«
    Sie erschrak. .
    »Nein, Sie haben nichts falsch gemacht.«
    »Vor etwa zwanzig Minuten hat Frau Wieczorek angerufen.« Sie sprach den Namen verächtlich aus. Es gab Gerüchte im Präsidium, dass die beiden Frauen sich hassten.
    »Wie geht’s Ihrem Sohn?«
    Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Er wurde befördert, ist schon Sturmbannführer. Und das in seinem Alter.«
    »Bei der Mutter, kein Wunder«, sagte ich. Sie strahlte mich an.
    Ich hatte wenig Zeit, mir eine Verteidigung zurechtzulegen. Olendorff hatte Göring angerufen und der den Polizeipräsidenten. Ich hatte weiter gegen Olendorff ermittelt, obwohl der Präsident es mir untersagt hatte. Es wurde eng. Aber ich war Polizist, hatte keinen anderen Halt als das Gesetz. Auch wenn es das Gesetz einer Republik war, die unsere Niederlage verkörperte. Mord bleibt Mord.
    Ich lief im Zimmer umher und mühte mich, meine Gedanken zu ordnen. Das Ohr schmerzte, ich verzichtete auf eine Tablette, um einen klaren Kopf zu behalten. Je länger ich nachdachte, desto abwegiger erschien mir, was geschehen war. Es hatte angefangen mit dem Hitler-Mord. Damals wusste ich noch, was zu verstehen war unter Recht und Gesetz. Binnen weniger Wochen begann sich meine Welt aufzulösen. Ich tat Dinge, an die ich vorher nicht einmal gedacht hätte. Die neue Regierung hatte das Recht formal nicht aufgehoben, beharrte sogar darauf, dass sie dem Recht endlich zur Geltung verhelfe. Aber sie setzte auf die Macht. Sie schützte sich und ihr nahestehende Kreise vor dem Gesetz, so wie diesen Olendorff.
    Ich schaute zum Fenster hinaus und sah die vier SA-Männer, wie sie gerade das Präsidium verließen. Das hatte sich auch geändert: Ich ärgerte mich kaum noch

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