Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
Herr Präsident, die Angestellten des Dr. Olendorff, die mich in den Keller zerrten, sind das auch Agenten des M-Apparats?«
    »Ich habe mich erkundigt, Herr Kommissar. Der Mitarbeiter des Herrn Dr. Olendorff, den Sie erkannt haben wollen, hat ein Alibi.«
    »Das ihm Dr. Olendorff gegeben hat.«
    »Unterbrechen Sie mich nicht. Und der Maybach, dem Sie gefolgt sein wollen, stand in der Werkstatt.«
    Ich hielt ihm die Gesichtshälfte mit dem verstümmelten Ohr entgegen. Der dicke Verband musste ihn beeindrucken. »Die Verletzungen aber bilde ich mir nicht ein.«
    »Werden Sie nicht unverschämt. Woher soll ich wissen, wo und wie Sie sich am Ohr verletzt haben? Ich fürchte, Sie verlieren Ihren Verstand, Herr Kommissar. Sie werden zu einem Ärgernis, zu einer Gefahr für die Ordnung.«
    »Und warum haben Sie die SA-Rüpel freigelassen, die ich festgenommen habe? Die waren eine Gefahr für die Ordnung.«
    »Ich sage ja, Sie werden zu einer Gefahr. Diese Leute haben sich einen harmlosen Scherz mit einem Säufer geleistet. Niemand ist zu Schaden gekommen.«
    »Weil ich es mit der Pistole in der Hand verhindert habe.«
    »Ich sage Ihnen zum letzten Mal, Sie sollen mich nicht unterbrechen. Sie haben in einem Stadtbahnabteil ohne Sinn und Verstand mit Ihrer Dienstwaffe herumgefuchtelt. Haben Sie Zeugen dafür, dass das nötig war? Ist es nicht vielmehr so, dass Sie sich das alles einbilden? Dass Sie einen Hass haben auf die neue Regierung? Sie sind ein alter Frontkämpfer, haben Ihre
    Verdienste als Soldat und Polizist. Aber nichts gibt Ihnen das Recht, Wildwestmethoden im Deutschen Reich einzuführen. Wir sind ein zivilisiertes Volk, Herr Kommissar.«
    Ich begriff nur eines: Melcher und ich lebten in verschiedenen Welten. Die Frage schoss mir durch den Kopf, seit wann das so war. Ich fand keine Antwort. »Ich bin zuerst dem Recht verpflichtet, vor allem der Strafprozessordnung.«
    »Sie sind zuerst verpflichtet, die dienstlichen Weisungen Ihrer Vorgesetzten zu befolgen.« Melcher brüllte, sein Kopf wurde dunkelrot, die Augen traten aus den Höhlen. Ich sah seine tabakgeschwärzten Zähne.
    »Nicht, wenn ich dadurch eine Straftat unaufgeklärt lasse. Schon gar nicht, wenn es sich um Mord handelt, Herr Präsident.«
    Der Mann verstummte und starrte mich an. Ich kam mir vor, als balancierte ich auf einem Seil zwischen Stadtschloss und Dom. Ohne Ausbildung als Seiltänzer und ohne Netz. Ich hatte recht, aber Melcher hatte die Macht. Das war entscheidend in einer Zeit, in der die Macht zählte. In der Polizisten nur dann Autorität besaßen, wenn sie die Macht vertraten.
    Melcher stand auf und wanderte in seinem Zimmer umher. Ich bewegte mich nicht. Er näherte sich mir von hinten. »Und wenn Sie ein paar Wochen Urlaub nehmen? Sie sind überarbeitet, man sieht es Ihnen an.« Er klang wie ein Onkel, dessen Patensohn aus gutem Haus angefangen hatte, Katzen zu ersäufen.
    »Das bedeutet, dass Sie mir die Ermittlungen entziehen, Herr Präsident.«
    »Es ist das kleinere Übel«, zischte er mir ins Ohr. »Das kleinere Übel. Der Ministerpräsident hat getobt, als er von Ihrer letzten Eskapade erfuhr. Jeder Idiot in Preußen weiß, wer die Mörder sind. Nur nicht der Kommissar, der die Ermittlungen leitet, hat der Herr Ministerpräsident gesagt.«
    »Und was sagen Sie, Herr Präsident?«
    Er ging um mich herum und stellte sich vor mich. »Ich, lieber Herr Soetting, ich sage, der Herr Ministerpräsident hat recht. Wenn vielleicht auch in der Sache Zweifel bleiben, aber in einem übergeordneten Sinn, der Ihnen verschlossen zu bleiben scheint, in diesem übergeordneten Sinn hat der Herr Ministerpräsident recht.« Spucketröpfchen befeuchteten mein Gesicht.
    »Ja, schauen Sie nicht so ...« Er suchte nach einem Wort, fand es nicht. »Sie starren auf Ihre Fälle und verstehen nicht, dass diese Fälle und die Entwicklung des Reichs in gewisser Hinsicht eins sind. Ich weiß nicht, ob Sie sich mal mit Rechtsphilosophie befasst haben.« Er sagte es in einem Ton, der mir zeigte, er schloss diese Möglichkeit aus. Darin hatte er recht. »Die Morde sind schrecklich, aber in diesem Schrecken stecken Keime des Neuen. Lesen Sie mal Carl Schmitt, da werden Ihnen die Augen aufgehen. Da werden Sie es erkennen, Macht und Recht können nicht mehr getrennt werden, das Recht darf sich der Macht nicht entgegenstellen. Das ist eine neue Dimension des Denkens.« Melchers Augen leuchteten. Ihn beglückte die Vorstellung, die Macht zu entfesseln. Er sah aus

Weitere Kostenlose Bücher