Der Consul
in Ruhe gelassen? Obwohl er einen Kommissar der Polizei verprügeln ließ.«
»Ich sagte schon .«
»Ich weiß, Sie können nichts dafür. Der Schläger, den ich identifiziert habe, hat ein Alibi. Ich weiß, ich weiß. Und Olendorff gehört zur Kamarilla der Regierung, die ihre Aufgabe darin sieht, die nationale Schande wegzuwaschen. Diesen Quatsch habe ich irgendwo gelesen. Wer zur Kamarilla gehört, darf alles, sogar Polizisten verprügeln und Alibis fälschen. Vor ein paar Monaten noch, Wohlfeld, da hätten wir uns das nicht gefallen lassen. Gewiss, wir mussten einiges ertragen, spätestens als Papen im Staatsstreich die Macht in Preußen übernahm und uns Melcher vor die Nase setzte. Wissen Sie noch, als Severing Innenminister war? Der war zwar ein Sozi, aber ihm galten Recht und Ordnung etwas. Göring und Melcher kennen nur noch Ordnung, ihre Ordnung. Und in dieser Ordnung ist es in Ordnung, wenn ein Polizist verprügelt wird, der den Herrschaften in die Quere kommt.« Die Wut wuchs, während ich sprach. Das Verlangen nach Weinbrand keimte, aber dann verschwand es wieder.
»Ich lass mir das nicht gefallen.« Es überraschte mich selbst, was ich sagte. Es musste lange in mir gewartet haben, jetzt war es raus. Es war richtig. Ich würde mir das nicht gefallen lassen. »Das ist eine Frage der Ehre, Wohlfeld, verstehen Sie das? Der Ehre! Eine Regierung, die das Recht bricht, ist eine Verbrecherregierung.« Das war ziemlich dick aufgetragen, eine pathetische Rechtfertigung für das, was ich tun würde, weil ich beleidigt war. Ich begann mich zu begreifen. Ich war gekränkt. Und ich konnte mich nur davon befreien, wenn ich Olendorff stellte. Das sagte ich Wohlfeld nicht, denn er hätte es verhindern müssen. Wo kommen wir hin, Herr Soetting, wenn die Bürger das Recht in die eigene Hand nehmen? Selbstjustiz? Aber wo sind wir, Herr Wohlfeld, wenn Bürger das Recht in die eigene Hand nehmen müssen, weil die Regierung das Recht verletzt?
Wohlfeld verfolgte mein Gerede und mein Schweigen aufmerksam. Als ich »Verbrecherregierung« sagte, sah ich sein Erschrecken. Er diente dieser Regierung, er musste erschrecken.
»Glauben Sie denn, dass Leutbold und diese Schmoll Hitler umgebracht haben? Und wenn ja, Sie können nicht auch noch Röhm, Goebbels und Strasser ermordet haben. Die Täter laufen frei rum. Und das unter einer Regierung, die nicht oft genug reden kann von Recht und Ordnung. Ich hatte in den letzten
Monaten viel Muße, Zeitung zu lesen. Sie glauben gar nicht, was für einen Quark Göring verzapft. Und nach dem Fettsack kommen gleich Schleicher und Papen.«
Wohlfeld zuckte zusammen. Ich bedauerte ihn, er kriegte was ab von meinem Zorn. »Herr ... Soetting, vier Morde, davon drei nach dem gleichen Muster, das heißt, eine Organisation steckt dahinter.«
»Stimmt, Wohlfeld.«
»Und Leutbold und Schmoll in Weimar kommen durchaus als Täter in Frage. Nur dort, gewiss. Aber sie sind Mitglieder einer Organisation, deren Hauptfeind die NSDAP ist. Wenn man eins und eins zusammenzählt, kommt man auf den M-Apparat. Dessen Chef, Kippenberger, hat ausgepackt. Ich darf Ihnen das eigentlich nicht verraten. Aber Kippenberger hat gestanden, sein M-Apparat habe die Morde durchgeführt. Im Auftrag der Russen. Die wollten einen Bürgerkrieg, und der ist ja auch ausgebrochen. Allerdings mit einem anderen Ergebnis, als Moskau wollte. Fehlen also nur die Figuren, die im Auftrag Moskaus Röhm und Kameraden getötet haben. Irgendwann werden wir sie kriegen, vorausgesetzt, sie trauen sich wieder nach Deutschland. Diesen Mielke haben wir ja auch im Fahndungsbuch. Manche Dinge klären sich von allein, wenn auch langsam. Das haben Sie mal gesagt.«
»Und Sie sind sicher, Kippenberger wurde nicht genötigt zu seiner Aussage? Vielleicht wurde er gefoltert? Oder der Staatsanwalt hat ihm gesagt: Machen wir ein Geschäft. Sie sagen aus, und der Kopf bleibt auf dem Hals.« Ich erinnerte mich meines Gesprächs mit Kippenberger. Ein Geständnis passte nicht zu ihm. Das war nicht zu beweisen, aber Kippenberger hatte mich nicht belogen, ich war zu lange Kriminaler, ich hätte es gemerkt.
Ich stand auf und suchte Kaffeebohnen. Im Schrank über der Spüle fand ich welche. Ich schob schmutzige Teller zur Seite, um an die Kaffeemühle zu kommen, schüttete Bohnen in die Mühle und kurbelte. Wohlfeld beobachtete, was ich tat. Er war blass. Ich füllte den Wasserkessel und setzte ihn auf den Gasherd. Dann gab ich das Kaffeemehl in die Kanne und
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