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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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einem Notizblock mit karierten Seiten notierte ich jede Bewegung. Zwei Wochen lang beobachtete ich die Villa, immer tagsüber. Die nächsten beiden Wochen verordnete ich mir Nachtschichten. Meine Erkenntnisse waren mager. Olendorff fuhr kurz vor acht Uhr am Morgen los und kam am Abend zwischen sieben und acht Uhr wieder nach Hause. Er ließ sich von Koletzke chauffieren. Abends erhielt Olendorff hin und wieder Besuch. Wenn der mit Autos kam, notierte ich die Nummern, obwohl ich nicht wusste, wie ich die Halter ermitteln sollte. Die Besucher waren meistens Zivilisten, dreimal kamen auch Offiziere der Reichswehr. Einmal erkannte ich Hauptmann Rickmer, der mich nach Erfurt begleitet und danach nichts mehr von sich hören gelassen hatte. Er erschien gegen zehn Uhr abends als Begleiter eines Obersts. Sie blieben eine knappe Stunde. Ich unterstrich den Namen Rickmer und setzte ein Ausrufezeichen daneben. Vermutlich aber war es keine Spur, schließlich war Olendorff in die gar nicht mehr so geheime Rüstungszusammenarbeit mit Russland verstrickt. Ein Besuch von Reichswehroffizieren war da nicht aufregend.
    Am nächsten Morgen rief ich Rübezahl im Truppenamt an. Dass er mich kurz nach meiner Entlassung im Präsidium hatte erreichen wollen, gab mir einen Vorwand. Wir verabredeten uns für den späten Nachmittag im Café Unter den Linden. Er fragte nicht, warum.
    Ich kam als erster zum Café, es standen Stühle und Tische draußen. Drei Tische waren besetzt, die Leute saßen in Jacken und Mänteln in der Abendsonne. Zum ersten Mal in diesem Jahr spürte ich warmen Wind. Ich bestellte einen Tee und nahm mir an der Garderobe die Vossische Zeitung. Auch darin stand ein Bericht über den Kronprinzen und seine Frau.
    Ich sah Rübezahl schon in der Ferne.
    Er schritt weit aus. Als er sich näherte, erkannte ich die neue Uniform, offenbar maßgeschnitten, auf den Schultern die Epauletten eines Majors.
    »Glückwunsch!« rief ich. Dann stand ich auf und ging ihm mit ausgestreckter Hand entgegen.
    »Warum? Ach so!« Er lachte. »Ist auch schon wieder ein Weilchen her. Habe dich lange nicht gesehen. Du hast den Dienst quittiert, höre ich. Warum? Was machst du jetzt?«
    »Ich habe dir von meinen Ermittlungen erzählt. Als die Olendorff erreichten, zogen die Herren Göring und Melcher eine Mauer um den Herrn. Wie soll man da weiter Polizist sein?«
    »Gut, dass deine Kollegen das anders sehen. Sonst müsste am Ende noch ich den Verkehr regeln.«
    »Weißt du noch was über diesen Olendorff? Irgendwelche Details, die dir vielleicht unwichtig erscheinen? Zum Beispiel, was könnte Rickmer zu Olendorff treiben?«
    Rübezahl pfiff leise durch die Zähne. »Sag bloß, du ermittelst auf eigene Faust?«
    Ich schüttelte den Kopf, zündete mir eine Zigarette an und versuchte ein ehrliches Gesicht zu machen. »Nein, hat mir ein Kollege gesteckt.«
    Rübezahl zog die Augenbrauen hoch. »Du begibst dich auf Glatteis, mein Guter. Überleg doch mal, warum Göring und dein Polizeipräsident niemanden an Olendorff rankommen lassen.«
    »Wegen Russland«, sagte ich.
    Er hob die Augenbrauen. »Noch unterliegen wir den Bestimmungen des Versailler Diktats. Noch ist die Rüstungszusammenarbeit mit den Russen verboten. Auch wenn das schon dieser und jener herausposaunt hat, je mehr öffentlich wird, desto eher könnten die Alliierten gezwungen sein einzugreifen. Weil die Franzosen und Engländer innenpolitischen Ärger kriegen, wenn wir ihnen auf der Nase herumtanzen. Und wenn sie Ärger kriegen, werden sie uns auf die Pelle rücken. Dann wird es unangenehm. Deshalb sind Olendorff und andere Leute dieser Preislage sakrosankt.«
    »So sehr, dass sie mich zusammenschlagen lassen, dass sie einem ins Gesicht lügen, dass sie Alibis fälschen dürfen?«
    »Ich sehe, du begreifst.«
    »Und das findest du richtig?«
    »Schön ist es nicht. Aber man muss abwägen. In der Republik fand ich viel falsch und wenig richtig. Unter der neuen Regierung finde ich viel richtig und wenig falsch. Ideale Zustände versprechen nur Nazis und Kommunisten, nachdem sie den jeweils anderen ausgerottet haben.«
    »So spricht der Opportunist.«
    Rübezahl lachte. »Pass nur auf, dass ich dich nicht zum Duell herausfordere. Wir leben ja bald wieder in kaiserlicher Zeit. Davon abgesehen, ich bin Realist, nicht Opportunist. Und du bist verrückt.«
    »Und was ist, wenn Olendorff was zu tun hat mit den Morden an Hitler und Kameraden?«
    »Ich dachte, es war Kippenberger und sein

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