Der Consul
ich mir nicht selbst rauben.
Ich ging zum nächsten Kiosk und kaufte mir ein Berliner Tageblatt. Auf der Titelseite war ein Bericht über die kaiserliche Familie, die seit der Flucht 1918 im holländischen Doorn lebte. Über Wilhelm II., diesen Waschlappen, nur wenige Zeilen, um so mehr über den Kronprinzen, der seine Ambitionen auf den Thron nicht verbarg. Der Kommentar war ein Plädoyer für die Rückkehr der Hohenzollern.
Es waren alle Zeitungen verschwunden, die im Verdacht standen, demokratisch zu sein. Die linken und liberalen Parteien waren aufgelöst worden oder waren einem Verbot durch
Selbstauflösung zuvorgekommen. Es gab nur noch die Parteien, die die Regierung bedingungslos unterstützten. Deutsche Volkspartei, Deutschnationale, die rechten Nazis, auch das Zentrum waren längst zu so etwas wie vaterländischen Vereinen geworden, wie es sie vor dem Krieg gegeben hatte. Jede bejubelte die neue Regierung und den Reichspräsidenten in der ihr eigenen Tonlage. Wer widersprach, floh ins Ausland, wenn er nicht im Gefängnis saß, oder in einem der Konzentrationslager, die die Regierung für hartnäckige Gegner der nationalen Wiedergeburt eingerichtet hatte. Diese Lager dienten der Umerziehung, hieß es.
Die Geschichte über den Kronprinzen und seine Gattin Cecilie hätte das Tageblatt nicht veröffentlicht ohne Billigung oder Auftrag von oben. Vielleicht wollten Göring, Papen und Schleicher nur mal schauen, wie das Ausland reagierte. Die Franzosen würden schäumen, die Hohenzollern waren seit 1870 ihr Alptraum. Aber wenn Amerikaner und Engländer es beim Pflichtprotest beließen, ergaben sich neue Möglichkeiten.
Ich aß eine Kleinigkeit zu Mittag, dann ging ich zu Burstein, um den Opel abzuholen. Der Laubfrosch war frisch gewaschen und glänzte wie neu. Burstein war so unterwürfig wie zuvor. »Sie können ihn gerne auch länger fahren, ich bin da nicht so pingelig«, sagte er. Ihm stand Schweiß auf der Stirn. Am Wetter konnte es nicht liegen, die Sonne schien, blauer Himmel, eisige Kälte, der Winter wich nur langsam in diesem Jahr. Auf dem Weg zu Burstein hatte ich noch einmal meine Möglichkeiten erwogen. Ich würde dort ansetzen, wo ich aufgehört hatte. Aber ich musste mich diesmal klüger anstellen.
Ich fuhr die Leibnizstraße hinunter. Sie sah am Tag anders aus als in jener Nacht, in der ich verprügelt wurde. Ich fuhr einige Male auf und ab, bis ich vor einem Haus stand, dessen Erdgeschoss weiß verputzt war, die oberen Stockwerke waren braun. Ich notierte die Anschrift: Dahlmannstraße 12. Dann fuhr ich nach Hause. Von einer Ermittlung kannte ich einen
Beamten im Grundbuchamt, ich hatte ihn gleich am Hörer.
»Guten Tag, Herr Kommissar«, sagte er. Ich sah keinen Grund, ihn zu korrigieren.
»Herr Kröger, tun Sie mir doch bitte einen kleinen Gefallen und schauen Sie mal nach, wem das Grundstück und das Haus in der Dahlmannstraße 12 gehört.«
»Immer dem Verbrechen auf der Spur«, sagte Kröger.
»Was bleibt einem übrig«, sagte ich.
»Nun haben wir endlich eine Regierung, die das Verbrechen richtig bekämpft. Schluss mit der Sentimentalität.«
»Ob Sie vielleicht mal nachschauen könnten, Herr Kröger?«
»Wo kann ich Sie zurückrufen?«
»Ich bleibe dran.«
»Aha, ein eiliger Fall. Einen Augenblick bitte.«
Es dauerte nur wenige Minuten, dann war Kröger wieder am Apparat. »Haus und Grundstück gehören seit etwa einem Jahr einem gewissen Hartmut Plack, er wohnt in Schmargendorf, in der Tölzer Straße 3.«
Ich bedankte mich. Es war eine Enttäuschung. Ich hatte gehofft, Olendorff sei der Eigentümer. Plack, diesen Namen hatte ich nie gehört. Ich war versucht Wohlfeld anzurufen, um ihn zu fragen, ob in der Kartei des Erkennungsdienstes ein Plack vermerkt war, aber ich ließ es. Es wäre gefährlich, wenn im Polizeipräsidium das Gerücht aufkam, ich ermittelte in eigener Sache. Aber ohne Apparat zu arbeiten, schien mir fast aussichtslos. Niedergeschlagenheit erfasste mich. Ich hatte mich nach Wohlfelds Besuch aufgerappelt, weil mich die Vorstellung fast berauscht hatte, den Fall allein zu lösen. Aber mit den ersten Erkenntnissen traf mich die Ernüchterung wie ein Faustschlag. Nur, was sollte ich anderes tun, als die Sache anzugehen?
Ich nahm mein Fernglas und fuhr in Richtung Wannsee. In weitem Abstand von Olendorffs Villa parkte ich den Laubfrosch. Von meinem Platz aus konnte ich den Eingang gerade noch beobachten. Wenn ich etwas bemerkte, griff ich zum Fernglas. In
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