Der Consul
Klügeres einfiel, als ich es geplant hatte. Aber ich hatte keine Wahl. Wieder fragte ich mich, warum ich es tun musste. Was machst du, wenn du die Sache aufklärst, obwohl es eigentlich unmöglich ist? Gehst du dann zur Polizei? Eine lächerliche Vorstellung. Gehst du dann zur Presse? Genauso lächerlich. Die machen dich fertig. Warum haust du nicht einfach ab? Aber ich fühlte in mir die Empörung, die mich nicht loslassen wollte. Wenn ich floh, war ich ein Verlierer. Verlieren würde ich wohl so oder so, nur mochte ich den Schwanz nicht gleich einziehen. Was ich mir vornahm, war genauso verrückt, wie im Krieg nachts feindliche Scharfschützen auszuheben. Ich führte noch Spähtrupps, als ich längst überzeugt war, wir würden den Krieg verlieren. Und jetzt legte ich mich mit Leuten an, die so mächtig waren, dass sie ungestraft Verbrechen begehen konnten im Deutschen Reich.
Da fiel mir Aschbühler ein. Womöglich konnte er helfen. Er behauptete, für eine französische Presseagentur zu arbeiten. Ob ich ihn benutzen konnte? Die Gedanken schwirrten in meinem Kopf, es passte das eine nicht zum anderen.
Erna kam in die Küche und machte sich am Herd zu schaffen. Ich ging in meine Kammer und legte mich aufs Bett. Ich döste und dachte nach. Und hatte Angst vor dem, was nun passieren würde.
*
Am Morgen frühstückte ich zusammen mit Erna, die sich wieder spröde gab. Auf meine Bitte bekam ich einen Hausschlüssel. Dann fuhr ich zurück nach Berlin. In Reinickendorf tankte ich den Laubfrosch voll. In einem Tabakwarenladen kaufte ich vier Schachteln Zigaretten, beim Lebensmittelhändler Vorräte zum Essen und Trinken. Beim Optiker erstand ich ein Fernglas, meines hatte ich in der Wohnung vergessen. Ich verpackte alles im Kofferraum, dann fuhr ich weiter. Am Strandbad Wannsee parkte ich den Wagen, stieg aus und näherte mich vorsichtig Olendorffs Villa. Die Garage war geschlossen. Ich rüttelte am Tor und versuchte, einen Spalt zu finden, durch den ich sehen konnte, ob der Maybach darin stand. Es war nichts zu erkennen. Ich klingelte an der Tür und wartete versteckt hinter einem Baum, ob jemand öffnete. Das Gartentor ging auf, der Butler schaute die Straße entlang, schüttelte den Kopf und verschwand wieder. Der Butler war also da, wer noch? So kam ich nicht weiter.
Auf dem Weg zurück zum Auto überlegte ich, was ich tun sollte. Ich fuhr den Wagen so nahe heran an die Villa, bis ich mit dem Fernglas genug sah. Zwischen zwei Bäumen stand der Laubfrosch unauffällig am Straßenrand. Ich machte es mir gemütlich, rauchte, aß und trank und ließ meine Gedanken schweifen. Mir fiel ein, ich hatte lange nicht mehr Angst vor Krankheiten gehabt, nirgendwo hatte es gezogen oder gekniffen. Wann hatte sich die Angst zuletzt gemeldet? Ich versuchte mich zu erinnern. Sie kam wohl immer dann, wenn ich entspannt war. Hatte ich keine Sorgen, sorgte ich mich um meine Gesundheit. Ich lachte über mich. Bist ein komischer Vogel, Soetting. Jagst Verbrecher ohne Auftrag und hast Schiss vor dem Krebs, wenn es dir gutgeht.
Plötzlich bewegte sich etwas vor dem Gartentor. Im Fernglas erkannte ich Koletzke. Er ging zur Garage und öffnete das Tor. Nach einer Weile kam der Maybach heraus. Ich hatte Olendorff nicht gesehen. Als er den Wagen aus der Garage gefahren hatte, stieg Koletzke aus und schloss das doppelflüglige Garagentor. Dann öffnete sich die Fondtür des Maybach, Olendorff stieg aus. Er lief um den Wagen herum, als suche er etwas. Vielleicht war er ein Pedant, der im Tageslicht prüfte, ob der Wagen sauber war. Olendorff sagte etwas zu Koletzke, der fast in Habachtstellung die Inspektion verfolgt hatte. Koletzke nickte, öffnete die Fondtür, und Olendorff stieg wieder ein. Koletzke schlug die Tür zu und setzte sich hinters Steuer. Dann rollte der schwere Wagen davon.
Olendorff musste in der Garage in den Wagen gestiegen sein. Koletzke hatte wohl die Straße gesichert, bevor er den Maybach mit Olendorff auf die Straße fuhr. Ich sah den Wagen verschwinden.
Sei geduldig, brabbelte ich vor mich hin. Konnte doch sein, dass Olendorff zurückkehrte, weil er etwas vergessen hatte. Ich rauchte und trank etwas. Dann stieg ich aus und pinkelte an einen Baum. Dabei beobachtete ich, was sich tat auf der Straße. Eine alte Frau mit einer Tasche kam vom Nachbargrundstück und humpelte die Straße hinunter. Sie blickte sich nicht um nach mir. Ich zündete mir eine neue Zigarette an und ging gemächlich in Richtung des Garagentors.
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