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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Medaillon, das Elsbeth mir an ihrem Todestag gegeben hatte. Es war nicht da, es lag in der Wohnung.
    Ich weiß nicht, wie lange ich gesessen hatte, als ich die Hand auf der Schulter spürte. Ich drehte mich um, Aschbühler stand hinter mir. Er schaute mich zweifelnd an. »So sehen Sie jetzt also aus, schöne Maskerade.« In seinem Gesicht las ich Mitleid. Ich stand auf und verließ die Kirche, er ging neben mir. An der Straße stand sein Wagen. Er fuhr Richtung Weißensee, dann bog er in eine schmale Seitenstraße ein und parkte den Wagen am Gehsteig. Im Licht einer Straßenlaterne sah ich ein zweistöckiges Haus. Aschbühler stieg aus, ich folgte ihm. Er schloss die Haustür auf, dann die Tür zur Wohnung im Erdgeschoss. Als er im Flur stand, drehte er das Licht an. »Warten Sie!« Aschbühler verschwand in einem Zimmer, ich hörte, wie er die Vorhänge zuzog.
    »Alles in Ordnung«, sagte er. Wir setzten uns ins Wohnzimmer. Er holte zwei Gläser und eine Flasche aus einer Vitrine. »Ist nur Weinbrand, aber kein schlechter«, sagte er. Er goss ein und hob sein Glas. Ich tat es ihm nach, wir tranken.
    »Kennen Sie die Organisation Consul?« fragte ich ihn.
    Sein Gesicht straffte sich. »Natürlich. Das sind Freikorpsleute aus der sogenannten Marinebrigade Ehrhardt. Die habe ich immer im Auge. Lange nichts von denen gehört.«
    »Sie nennen sich inzwischen Wikingbund.«
    »Aha«, sagte Aschbühler.
    »Und sie sind nicht weniger Terroristen als damals, als sie Erzberger und Rathenau ermordeten.«
    »Aha. Was führt Sie zu dieser Erkenntnis?«
    »Ermittlungen. Ich kann beweisen, dass die OC die Naziführer ermordet hat.«
    Aschbühler zeigte Ungläubigkeit. Dann schien er etwas zu begreifen.
    »Beweisen?«
    Ich erzählte ihm, was ich herausgefunden hatte. Er unterbrach mich nicht, hin und wieder pfiff er leise. Dann sagte er: »Das waren ja nun wirklich keine Juden.« Er schaute mich freundlich an. »Das verstehen Sie nicht? Es ist so einfach, schrecklich einfach.«
    »Was ist einfach?«
    »Erinnern Sie sich an den Rathenau-Mord, 1922?«
    Ich nickte.
    »An was erinnern Sie sich?«
    »Na ja, dass der Außenminister erschossen wurde, wie vorher schon Erzberger.«
    »Lassen Sie den Erzberger mal weg, der hatte ja kein Amt mehr, als er getötet wurde. Den haben die umgebracht, weil er den Waffenstillstand unterschrieben hat. Das hat Erzberger übrigens getan auf Betreiben der Herren Hindenburg und Ludendorff, der eine Erfinder der Dolchstoßlegende, der andere heute ein esoterischer Großgermane und Putschist.«
    »Rathenau, die Judensau«, murmelte ich.
    »Genau«, sagte Aschbühler. »Das haben die Völkischen damals gebrüllt und geschrieben. Und das Reichsgericht, das den Fall aufklären sollte, hat quasi als mildernden Umstand berücksichtigt, dass die Mörder Juden hassten. Rathenau, die Judensau.«
    »Ja und?« sagte ich. In Deutschland gab es viele Judenhasser, ganze Parteien, die sich dazu bekannten. Ich zündete mir eine Zigarette an und trank von dem Branntwein, der scharf die Kehle hinunterlief. Dann lehnte ich mich zurück und sagte noch mal: »Ja und?« Es stieß mir auf, von einem Franzosen belehrt zu werden, auch wenn es ein Elsässer war.
    »Es ging gar nicht um die Juden.«
    Ich beugte mich vor und starrte ihn an. »Um was dann?«
    »Rathenau war Außenminister, und er war erfolgreich. Hat den Vertrag mit den Russen gemacht, das hat nicht nur meine Regierung bös geärgert. Die OC sagte sich, wenn wir einen führenden Vertreter dieser Regierung umbringen, gibt’s einen Bürgerkrieg.«
    »Das ist doch Quatsch«, sagte ich. »Und es hat auch keinen gegeben.«
    »So verrückt war das nicht. Die haben kalkuliert, dass die Linke und die Weimarer Parteien so was wie den Staatsnotstand erklären, dass sie gegen die Rechte vorgehen, dass sie dabei die Verfassung nicht mehr so ernst nehmen, oder was auch immer. Und wenn die Linke nach der Macht griff, sollten Reichswehr und Freikorps sie ein für alle Mal erledigen. Dann hatte Seeckt einen Grund, mit dem Heer einzugreifen, und
    Ebert hätte nichts tun können. Es wäre das Ende der Republik gewesen. Diese Figuren in der Marinebrigade Ehrhardt und der OC sind fast alle mehr oder weniger Antisemiten. Aber nur die wenigsten, wenn überhaupt einer, würden einen Juden töten, weil er ein Jude ist. Antisemitismus ist ja der Schlager in Deutschland.« Er trank. »Nun, ich gebe zu, ganz fremd ist er uns Franzosen auch nicht. Er ist in manchen Kreisen geradezu

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