Der Consul
die Mordserie durchzustehen. Er hatte Angst bekommen, dass sich die Dinge änderten und er wegen Beihilfe drankam.
Koletzke hatte meinen Einbruch in die Olendorff-Villa ausgenutzt. Aber Koletzke mordete nicht im Alleingang, er bekam seine Befehle von Kapitän Ehrhardt, der sich den Decknamen »Konsul« mit K oder C gegeben hatte und in Österreich lebte.
»Und du bist Mitglied der OC?«
Er schwieg eine Weile und wartete auf den Tritt. Dann sagte er: »Ich bin im Wikingbund.«
»Was ist das?«
»Eine Vereinigung national gesinnter Männer.«
»Und wer ist ihr Chef?«
»Der Kapitän.«
»Und die Männer, die in der OC waren, sind nun im Wikingbund«, stellte ich fest.
Er nickte.
»Dann ist der Wikingbund die OC unter anderem Namen?«
Alexander nickte.
»Und seit wann?«
»Seit dem Prozess.«
»Dem Prozess gegen die OC?«
»Ja.«
»Und beim Goebbels-Mord warst du auch dabei, stimmt’s?«
»Nein, davon hab ich hinterher gehört.«
»Hitler.«
Er schüttelte den Kopf.
»Strasser.«
»Nein, nein, nein.«
»Haben Koletzke, Olendorff oder Engert was gesagt über die anderen Morde?«
»Nein.«
»Haben sie gesagt, warum sie Röhm das Glied abgeschnitten haben.«
»Nun kann er ewig am Schwanz lutschen. Hat Engert gesagt.«
Ich drückte ihm die Waffe an den Hinterkopf.
»Erschießen Sie mich nicht«, greinte Alexander.
»Wie willst du sonst sterben?«
»Bitte nicht!«
Ich gestehe, ich kostete meine Rache aus. Aber ich war Alexander auch dankbar. Hätte er mich damals nicht niedergeschlagen, wäre ich auf die Probe vom Boden des Waschkellers angewiesen gewesen. Bewiesen hätte die Probe nicht viel. Erst Alexander in seiner Panik hatte mich auf die richtige Spur gebracht.
»Du hast mich damals niedergeschlagen, um die Spuren zu verwischen.«
»Ich dachte, Sie hätten alles rausgekriegt. Ich hatte Angst.«
»Du hattest auch Angst vor deinen Kameraden.«
Er nickte erst leicht, dann kräftig.
»Dass die glauben, du hättest sie verraten.«
Er nickte.
»Und dass sie dich dann umbringen.«
Alexander nickte.
»Und wenn ich dich jetzt am Leben lassen würde, wenn du mir deine Aussage unterschreibst?«
»Ich mach es, aber ich brauch einen Vorsprung.«
Ich zog Notizblock und Füller aus dem Jackett und gab ihm beides. Im Knien schrieb er, was er mir gestanden hatte. Währenddessen überlegte ich, was ich mit ihm anstellen sollte. Sein Geständnis bestimmte ihn zum Opfer des nächsten Fememords. Er würde kaum zu Koletzke gehen und ihm berichten, was er getan hatte. Ich beschloss, ihn laufenzulassen. Sollte er sehen, wie er am Leben blieb. Als er fertig war, schlug ich ihm mit dem Pistolengriff auf den Schädel. Er würde bald aufwachen und abhauen. Ich erschrak, als mir klar wurde, wie sehr ich es genossen hatte, ihn zu quälen.
Als ich den Klub verließ, wich das Erschrecken, ich fühlte mich leicht. Ich hatte meinen Fall geklärt, wenn auch nicht nach den Maßstäben der Strafprozessordnung. Unter gewöhnlichen Umständen hätte die Mordkommission Alexanders Aussagen benutzt, um die anderen Morde der Serie aufzuklären. Wir hätten Ehrhardt und Koletzke verhaftet oder nach ihnen gefahndet. Jetzt musste ich mich zufriedengeben mit der Gewissheit, die Mörder und ihren Auftraggeber zu kennen. Das einzige, was ich nicht verstand, war das Motiv. Was brachte eine völkische Verschwörerorganisation wie die OC dazu, Gesinnungsgenossen zu töten? Wer konnte mir die Frage beantworten? Was konnte ich anfangen mit meinem Wissen über die Morde und die Täter? Und wie konnte ich mich retten?
XVIII
E s war Nacht. Ich nahm die S-Bahn in Schöneweide und fuhr bis zum Görlitzer Bahnhof. Dort fand ich eine Telefonzelle und rief die Nummer an, die ich im Portemonnaie aufbewahrt hatte. Aschbühler hob nach dem zweiten Klingeln ab. Er klang, als wunderte er sich nicht.
»Gehen Sie zur Liebfrauenkirche, die ist nicht weit von Ihnen.« Er beschrieb mir den Weg. »Warten Sie in der Kirche, in der ersten Reihe rechts, vom Eingang aus gesehen. Die Kirche ist nicht abgeschlossen. Ich hole Sie ab.«
Ich folgte Aschbühlers Beschreibung und fand die Kirche unverschlossen vor. Vor dem Altar brannten drei Kerzen. Ich setzte mich rechts in die erste Reihe und betrachtete die Jesusstatue über dem Altar. Im flackernden Lichtschein sah er aus, als lebte er. Ich dachte an Elsbeth, Traurigkeit und Erschöpfung überwältigten mich. Tränen quollen durch die geschlossenen Lider. Ich suchte in meinen Taschen das
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