Der Countdown
beugte sie sich über ihn.
“Was kannst du mir noch erzählen, bevor du stirbst, Issa?”
Sie wartete in dem Wissen, dass sie keine Antwort erhalten würde.
Mit einem kurzen Aufstöhnen atmete der Gefangene noch einmal aus.
Dann blieb es still.
Der Arzt kniete sich neben ihn, prüfte sein Herz, seine Augen. Er wartete und horchte, bevor er den Mann für tot erklärte.
“Kümmern Sie sich darum”, wies sie die Wärter an.
Rasch und geschickt verfrachteten sie Issa al-Issas Körper in einen Leichensack. Den trugen sie aus dem Haus und in den dichten Wald zu dem Grab, das der Gefangene am ersten Tag seiner Ankunft hatte graben müssen.
Während die Wärter Issa al-Issa begruben, blieb die Offizierin in Gebäude S-9846 und blätterte durch ihre Notizen. Issa war eines der schwierigsten Verhöre gewesen, das sie je geführt hatte. Sie hatte ihm nicht so viel entlocken können, wie erhofft.
Doch was sie hatte, war entscheidend.
Sie griff nach ihrem Satellitentelefon und wählte die Nummer ihrer Kontaktperson bei der Botschaft.
Issas Informationen konnten sich für einige Regierungen als wertvoll erweisen, vielleicht wertvoll genug, um einen größeren Geldbetrag dafür zu zahlen.
36. KAPITEL
V atikanstadt
In den Minuten vor Sonnenaufgang stand der Papst allein am Fenster seiner Residenz im obersten Stock des Vatikanpalastes.
Er sah zu, wie die Dämmerung die Basilika, die Bernini-Kolonnaden und den Petersplatz in ein schwaches bläulich-violettes Licht tauchte, als ein paar Polizisten über den leeren, stillen Platz spazierten.
Wegen seines unruhigen Schlafes lastete die Müdigkeit stärker auf ihm als sonst. Wieder hatte er verzweifelt versucht, der Ursache für seine Nervosität auf die Spur zu kommen.
Es war der Traum
.
Die Sonne erhob sich am Horizont.
Er ging in seine Privatkapelle, um zu beten. Er betete für das Wohl der Welt und nahm auch persönliche Fürbitten auf, die ihn erreicht hatten. Von dem zehnjährigen Jungen aus El Salvador, der seine Familie im jüngsten Erdbeben verloren hatte; von der untröstlichen Witwe in Belfast, die nach dem Tod ihres Mannes fürchtete, ihren Glauben zu verlieren; sogar von dem kleinen schweizerischen Mädchen, dem seine Katze entlaufen war und die ein Foto nebst Stadtplan beigelegt hatte – “damit Gott weiß, wo er suchen muss.”
Er lächelte bei dem Gedanken.
Nach den Gebeten hielt er die Messe und nahm mit seinen auserwählten Gästen, einer Delegation von Nonnen aus Brasilien, das Frühstück ein. Dann ging er in seine Arbeitsräume, um die Textentwürfe für seinen bevorstehenden USA-Besuch durchzugehen. Darin ging es um die Umwelt, Fortpflanzung, Abtreibung, die Unantastbarkeit der Familie, die abnehmende Zahl an Priestern und die Rolle der Frau in der katholischen Kirche.
Doch in einem entfernten Winkel seines Gehirns dachte er weiter über den Traum nach.
Am Vormittag hielt er im öffentlichen Teil der Residenz einige geplante Audienzen ab, danach folgte ein Lunch mit diversen gerade frisch eingetroffenen Diplomaten aus den Niederlanden, Frankreich, Japan, Indien und Chile.
Später kehrte er in seine Arbeitsräume zurück und öffnete die verschlossene Tasche, die ihm vom Staatssekretariat übermittelt worden war. Sie enthielt geheime Korrespondenz mit den Staatsoberhäuptern der Welt und andere wichtige Dokumente, wie zum Beispiel den streng geheimen Bericht über die Sicherheitsmaßnahmen bei seinem USA-Besuch.
Der Bericht stammte vom Secret Service, angehängt fand er eine Analyse vom Chef des päpstlichen Sicherheitskomitees. Sie skizzierte mögliche Bedrohungen und erwog die mutmaßlichen Quellen, die Wahrscheinlichkeit und die möglichen Gegenmaßnahmen.
Eine solche Analyse wurde bei allen Auslandsreisen angefertigt.
Der Papst strich sich über das Kinn, als er die markierten Abschnitte las, in denen man ihm empfahl, bei jedem öffentlichen Auftritt seiner Sieben-Städte-Tour eine “speziell entworfene, kugelsichere Weste” zu tragen.
“Der Geheimdienst verweist auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines Anschlags, der sofortige und weltweite Aufmerksamkeit sichern würde.”
Solche Drohungen waren normal, und manche wurden tatsächlich in die Tat umgesetzt.
Der Papst dachte an die Reihe von Papstattentaten, einschließlich der Schüsse auf Johannes Paul II. auf dem Petersplatz.
Die Möglichkeit eines Mordanschlags schwebte über jedem Papst. Er war kein Narr, der sich über diesen Aspekt seines Amts Illusionen machte. Seit
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