Der Countdown
Tasche. “Aber Sie können in Rays Unterlagen nachsehen.”
“Sie sind im Besitz seiner Unterlagen über diese Sache?”
“Ich habe Ihnen Kopien von allem gemacht, was er mir gegeben hat. Er arbeitete an einer Quelle im Pentagon, um die Namen der zivilen Fahrer aus dem geheimen Konvoi zu erhalten, der im Irak angegriffen wurde. Er wollte jeden Einzelnen befragen. In diesem Zusammenhang half ich ihm mit den teuren Datenbank-Recherchen.”
Morrow reichte Graham eine abgewetzte Aktenmappe.
“Corporal Graham. Ich weiß, dass das alles verrückt klingt. Ray war ein Exzentriker. Viele seiner Geschichten waren übertrieben, und ich weiß, dass er die Wahrheit arg strapazierte, bevor man ihn schließlich aus der Redaktion drängte. All diese Vorwürfe gegen ihn sind leider wahr.
Aus diesem Grund habe ich das hier niemandem aus unserer Redaktion gezeigt, geschweige denn irgendjemandem sonst. Sie würden es nicht ernst nehmen, weil es eben von Ray kommt. Und ich möchte nicht, dass die Leute erfahren, dass ich ihm mit Bürorecherchen geholfen habe. Aufgrund meiner privaten Situation kann ich es mir nicht leisten, mit Rays Welt in Verbindung gebracht zu werden, wissen Sie?”
“Ich verstehe.”
“Ich weiß, das ist alles wirr und hat vielleicht nicht viel zu bedeuten. Aber Ray war mein Freund, und ich denke, ich schulde es seinem Andenken. Ich würde es mir nie vergeben, wenn ich diese Unterlagen nicht weitergebe. Ich glaube, Ray würde das wollen. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür.”
“Das habe ich.”
“Danke. Und viel Glück.”
Nachdem Morrow gegangen war, bestellte Graham einen weiteren Kaffee und blätterte durch Ray Tarvers Mappe.
Bei einer handschriftlichen Notiz hielt er inne.
Blue Rose Creek – vielleicht in Kalifornien – noch überprüfen.
35. KAPITEL
A n der rumänisch-ukrainischen Grenze
“Noch einmal.”
Der Kopf des Gefangenen wurde erneut in die mit Eiswasser gefüllte Stahlwanne gedrückt.
Er war nackt und kniete auf dem kalten harten Boden.
Nach acht Sekunden ohne Sauerstoff zerrte er an den Ledergurten, mit denen er gefesselt war.
Nach zwölf Sekunden zuckte sein ganzer Körper.
Die Frau, die ihn verhörte, saß seelenruhig daneben und wartete. Man kannte sie nur als ‘Frau Oberst’. Eine Frau in den Vierzigern, die sechs Sprachen beherrschte und eine Expertin in Verhörtechniken war, egal ob sie irgendwann einmal von der Stasi, der CIA, dem Mossad oder der SS angewendet worden waren.
War sie Israelin oder Deutsche? Manche vermuteten, dass sie aus Polen stammte.
Nach sechzehn Sekunden nickte sie den Wärtern zu, und man zog den Kopf des Gefangenen aus dem Wasser. Er schnappte nach Luft, sein steifer Leib zitterte. Man hatte ihn seit vier Tagen nicht schlafen lassen. Er hatte nackt in seiner Zelle stehen bleiben müssen, wo man ihn in regelmäßigen Abständen mit eiskaltem Wasser übergoss.
Sein Zustand verschlechterte sich rapide. Ohne Hilfe konnte er nicht einmal mehr stehen. Während ein Militärarzt ihn untersuchte, erhob sich Frau Oberst und näherte ihr Gesicht dem des Gefangenen.
“Ist eine Operation im Gange?”
Der Gefangene war bekannt als Issa al-Issa. Es handelte sich um einen Schlüsselagenten, dessen wahre Identität niemand kannte. Issa war ein Deckname, den er länger benutzte, als er es hätte tun sollen. Vielleicht war er ein früherer Polizeibeamter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Man wusste es nicht mit Sicherheit. Monatelange Geheimdienstarbeit hatte zu seiner mitternächtlichen Entführung aus einem Apartment für Einwanderer in Kuwait City geführt. Man hatte ihm Handschellen angelegt und einen Sack über den Kopf gezogen, bevor er in einen privaten Gulfstream-Jet verfrachtet wurde.
Erst flog man ihn nach Jordanien, danach nach Nikosia.
Dann wurde er in ein Gebiet an der Donaumündung am Schwarzen Meer geflogen. Im Kofferraum eines Autos brachte man ihn von dort zum Gebäude S-9846.
Ein Gebäude, das dem KGB einst für Vernehmungen gedient hatte.
Ein Gebäude, das eigentlich gar nicht existierte.
Offiziell tat das auch Issa al-Issa nicht.
Er war ein Phantomgefangener.
“Ist eine Operation im Gange, Issa?”
Der Arzt wandte sich der Offizierin zu und schüttelte den Kopf. Issas Zustand hatte sich verschlechtert und einen kritischen Punkt erreicht. Frau Oberst bedeutete den Wärtern, ihn loszulassen.
Er brach auf dem Boden zusammen, konnte sich zum ersten Mal seit hundert Stunden ausruhen.
Während er zitternd dort lag,
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