Der Coup von Marseille
Aufmerksamkeit auf ihren Gastgeber zu richten. Lord William Wapping hielt Hof.
Zu seiner Rechten hatte er ein langjähriges Mitglied des Stadtplanungsauschusses und den Hauptgrund für das Mittagessen platziert: Monsieur Fauré, ein unscheinbares Männchen im mausgrauen Anzug. Informationen von Patrimonio zufolge war er »ein unsicherer Kantonist« – das heißt, man musste damit rechnen, dass er nicht so abstimmen würde, wie es ihm nahegelegt worden war. Man werde, so hatte Patrimonio vorgeschlagen, Monsieur Fauré besondere Aufmerksamkeit bezeugen, um ihm ein Gefühl der Wichtigkeit zu verleihen, dann sei er leichter zu beeinflussen.
Neben Fauré saß die einzige Frau in der Männergesellschaft, Wappings Lebensabschnittsgefährtin Annabel Sykes. Sie ent stammte einer Familie aus den Randzonen der Aristokratie. Ihre Vorbilder waren die Herzogin von Cornwall und Madonna, das sagte alles über die Faszination, die das britische Establishment und die Welt des Glamour auf sie ausübten. Eitel, attraktiv und nicht unempfänglich für materielle Gefälligkeiten wie Juwelen, Designergarderobe, Seidendessous und Taschengeld, war sie Lord Wapping in Ascot über den Weg gelaufen und schwebte buchstäblich im siebten Himmel, als er sich erbot, sie in seinem Hubschrauber in die Stadt zurückzubringen. Später sollte sie diesen Augenblick, begleitet von einem koketten Augenaufschlag, als Höhenflug der Liebe bezeichnen.
Zu ihrer Rechten hatte Tiny de Salis Platz genommen, ein Eton-Absolvent, der ebenfalls aus gutem Stall stammte, dem jedoch im Leben einiges schiefgelaufen war. Er musste sich als Skipper der Jacht und als Pilot des Hubschraubers verdingen. Er war ein Hüne von einem Mann (daher sein Spitzname »Winzling«), und seine um Unauffälligkeit bemühte Beziehung zu Annabel beruhte auf einer Gemeinsamkeit, der privilegierten sozialen Herkunft. Doch leider hatte ihn diese nicht vor den Folgen seiner Spielsucht zu bewahren vermocht. Er hatte Lord Wapping zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als dieser noch ein erfolgreicher Buchmacher war, bei dem er haushoch in der Kreide stand. Bei ihrer ersten Begegnung waren auch Wappings Schuldeneintreiber anwesend, für den Fall, dass es erforderlich geworden wäre, der Zah lungsaufforderung mit einigen schmerzhaften physischen Einwirkungen Nachdruck zu verleihen. Dank seines Charmes und der Fähigkeit, mit Booten und Leichtflugzeugen umzugehen, blieb ihm dieses Schicksal erspart, und er erhielt die Chance, die Schulden bei Seiner Lordschaft abzuarbeiten.
Neben der ausladenden Gestalt von de Salis wirkte sein Sitznachbar Ray Prendergast, Wappings persönlicher Anwalt und von Neidern das »Frettchen« genannt, noch leichtgewich tiger als sonst. Mit der physischen Statur eines Jockeys und den Instinkten eines Ganoven ausgestattet, hatte er selbst bei seinen schwergewichtigen Kollegen aus dem juristischen Berufsstand den Ruf erworben, ein Mann zu sein, mit dem man besser nicht die Klingen kreuzte. Auch kursierten Gerüchte über mögliche Verbindungen zur Unterwelt, man munkelte, er habe bei Sportwettkämpfen die Ergebnisse manipuliert, Zeugen bestochen und nicht einmal davor haltgemacht, die Richter massiv zu beeinflussen. Aber ihm war nichts nachzuweisen, und so hatte er sich höchst effektiv um Lord Wappings Angelegenheiten gekümmert, als es um Steuerhinterziehung, unrechtmäßigen Eigentumserwerb, Börsenmanipulation und drei mutmaßlich teure Scheidungen ging. (Nach der letzten diesbezüglichen Erfolgsmeldung hatte er Lord Wapping eine SMS geschickt: »Wir haben die Ex erfolgreich aus Ihrer Brieftasche herausgekratzt«, eine bildhafte Formulierung, die unter den Londoner Scheidungsanwälten bald Furore machte.)
Die Leibwächter Brian und Dave, die durch ihre kohlrabenschwarzen Sonnenbrillen die Welt mit finsterem Blick betrachteten, vervollständigten Wappings Gefolge. Die beiden waren Veteranen aus der guten alten Zeit, als Buchmacher noch hin und wieder einen Muskelprotz brauchten – daher fanden sie ihr gegenwärtiges Leben ein wenig öde. Erst kürzlich hatte sich Brian bei Dave lebhaft beklagt, dass sie schon seit Jahren niemanden mehr so richtig in die Mangel genommen hatten. Aber die Bezahlung tröstete sie ein wenig über ihre Marginalisierung hinweg.
Lord Wapping blickte zufrieden auf seinen leeren Teller hinab. Diese Froschfresser verstanden tatsächlich etwas vom Kochen. Der Empfehlung des Kellners folgend, hatte er Noisette d’agneau en croûte de tapenade
Weitere Kostenlose Bücher