Der Coup von Marseille
Rome.
Inzwischen verstanden sie sich prächtig. Genauer gesagt, sie redeten ununterbrochen. Mimi wollte alles über L. A. wissen – ihre Neugierde war durch Philippe und seinen begeisterten Bericht über die Stadt der Engel angestachelt worden. Elena ihrerseits war daran interessiert, von einer Insiderin mehr über die Eigenheiten von Marseille, Aix, Avignon und Saint-Tropez, dem Paradies in weiter Ferne, zu erfahren. Der Morgen verging so schnell und auf so angenehme Weise, dass sie verspätet im Restaurant eintrafen. Bei ihrer Ankunft war ihr Tisch der einzige, der noch frei war (und auch nur frei gehalten wurde, weil Philippe seit Jahren zu den Stammgästen zählte).
Er hatte ihn für sie im Le Boucher reservieren lassen, in der Rue de Village, einem Restaurant, das sich überzeugend als Metzgerei tarnte. Im hinteren Bereich des Ladens, jenseits der Verkaufstresen mit Rind-, Lamm- und Kalbfleisch, führte eine Tür in einen kleinen, überfüllten Raum, der trotz seines Glasdachs durch eine riesige, ausufernde Bougainvillea vor der Sonne geschützt wurde. »Philippe war der Meinung, dass es dir hier gefallen wird, weil das Fleisch so gut ist. Amerikaner sollen ja immer Lust auf Frischfleisch haben«, sagte Mimi. Sie schmunzelte. »Hoffentlich hat er recht.«
»Absolut.« Elena blickte sich im Raum um und konnte niemanden entdecken, der auch nur entfernt einem Touristen ähnelte. »Ich schätze, hier verkehren nur Franzosen.«
Mimi schüttelte den Kopf. »Nein, keineswegs. Nur Marseiller.«
Bevor Elena diesem interessanten Unterschied, der, wie ihr schien, schon mal angedeutet worden war, auf den Grund gehen konnte, trug der Kellner die Speisekarten und zwei Champagnerkelche herbei. »Mit den besten Grüßen von Monsieur Philippe«, sagte er. »Heute haben wir seine Lieblingsgerichte auf der Tageskarte. En plus hat er uns aufgetragen, ihm die Rechnung zu schicken.«
Mimi legte die Speisekarte beiseite und sah Elena an. »Hast du großen Hunger?«
Elena dachte an ihr übliches Mittagessen, das eher der Ration von Stallkaninchen glich. »Klar. Du weißt ja, ich gehöre zu den blutrotes Fleisch fressenden Amerikanerinnen.«
Mimi nickte dem Ober zu, der lächelnd in die Küche eilte.
Elena hob ihr Glas. »Zum Wohl. Erfahre ich auch, was es zu essen gibt?«
»Als Vorspeise bresaola – das ist ein luftgetrockneter Rinderschinken – mit Artischockenherzen, sonnengetrockneten Tomaten und Parmesankäse. Danach Ochsenbäckchen mit einer Scheibe hausgemachter foie gras . Und als Dessert fondant au chocolat . Klingt das einigermaßen genießbar?«
»Das klingt himmlisch.«
Die beiden Frauen bildeten ein hübsches und apartes Duo, wovon die vielen, um es vorsichtig auszudrücken: anerkennenden Blicke vonseiten der männlichen Gäste ein lebhaftes Zeugnis ablegten. Elena hätte vielleicht noch als Einheimische durchgehen können mit ihren schulterlangen schwarzen Haaren und dem olivfarbenen Teint. Mimi sah dagegen aus, als hätte sie sich einen freien Tag von den Modenschauen in den Straßen von Paris gegönnt. Ihre Haut war auffallend blass mit einem Hauch von Sommersprossen, und die Haare, fast so kurz wie Philippes, waren von einem dunklen, satten Hennarot, das nur ein Figaro der Spitzenklasse zustande bringt. Ihr Gesicht mit den braunen Augen, Größe XXL, und den vollen Lippen befand sich in einem Zustand fortwährender Bewegung – der Ausdruck wechselte zwischen belustigt, überrascht oder fasziniert von Elenas Worten hin und her. Sie arbeiteten pflichtschuldigst die Standardthemen Arbeit, Urlaub und Garderobe ab, bevor sie in eine etwas persönlichere und angeregte Erörterung über das Thema Männer im Allgemeinen und Sam und Philippe im Besonderen gerieten. Beide wurden als eine Art work in progress betrachtet, begabte Liebhaber, kultivierte Männer, die aber noch mehr aus sich machen konnten, ja mussten, wollten sie sich weiterhin im Glanz ihrer Eroberungen sonnen.
7. Kapitel
S am pfiff leise vor sich hin, als er den Weg durch den Garten entlangschlenderte, der vom Pool zur Terrasse führte. Es sah ganz so aus, als wäre heute wieder einer der dreihundert Sonnentage vorprogrammiert, die das Fremdenverkehrsbüro von Marseille jedes Jahr zu versprechen pflegte als Köder für von Regen und Büroluft zermürbte Menschen aus dem Nor den. Für den Abend war Patrimonios Empfang anberaumt. Jetzt würde es endlich zur Sache gehen! Und Elena schien mit der Begeisterung einer langjährigen Strafgefangenen, die
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