Der Coup von Marseille
dauerte nicht lange, bis er zu der naheliegenden Schlussfolgerung gelangte. »Wann erscheint der Artikel mit dem Zelt?«
»Morgen«, erwiderte Mimi. »Der Verleger fand ihn spitze.« Sie klang stolz wie eine Mutter, deren Kind gerade einen Einser nach Hause gebracht hatte.
»Das kann also nicht der Grund gewesen sein«, meinte Sam. Doch dein erster Artikel wird vermutlich einigen Leu ten schwer im Magen liegen – Patrimonio beispielsweise. Und du hattest Streit mit ihm auf der Cocktailparty. Trotzdem ist das kein Grund, jemanden so zuzurichten. Nein, Patrimonio war es nicht; es muss Wapping sein. Er steckt mit Patrimonio unter einer Decke und hat versucht, dich zu bestechen, um dich mundtot zu machen. Er muss der Drahtzieher hinter dem Ganzen sein.«
Philippe blickte Sam mit seinem unversehrten Auge an. »Ja, das leuchtet mir ein. Und ich sage dir noch was: Da ihn schon der erste Artikel in Rage versetzt hat, kriegt er morgen einen Herzinfarkt, wenn er sieht, wie ich mit dem zweiten noch eins draufgesetzt habe.« Er wandte sich an Mimi und grinste. »Glaubst du, dass mir die Zeitung einen Leibwächter spendiert?«
»Ich habe eine bessere Idee«, warf Sam ein. »Ich denke, du solltest von der Bildfläche verschwinden.«
»Sam, du hast zu viele Krimis gelesen. Abgesehen davon lasse ich mich von diesem connard nicht von der Arbeit abhalten.«
»Das verlangt ja auch keiner. Du arbeitest nur nicht mehr in deinem Büro, zu Hause oder wo du dich sonst noch herumgetrieben hast, denn da sitzt du für Wappings Schlägertrupp auf dem Präsentierteller. Du tauchst ab. Und ziehst bei uns ein.«
Sam hob die Hand, bevor Philippe Einwände erheben konnte. »Ein idealer Schlupfwinkel. Es gibt dort Platz genug. Das Haus liegt abgeschieden und ist vor Blicken geschützt; sicherer könnte es nirgendwo sein. Ein Wagen mit Chauffeur steht zur Verfügung, wann immer du einen fahrbaren Untersatz brauchst, und abgesehen von uns beiden würden sich eine Haushälterin und ein Hausmädchen um dich kümmern. Wie ich bereits sagte, ein perfektes Versteck. Also keine Widerrede. Wann können wir dich von hier weg bringen?«
Sam und Mimi suchten Dr. Joel auf, der sich zunächst überrascht, ja verärgert zeigte, bis er sich endlich einverstanden erklärte, Philippe vorzeitig zu entlassen. Unter der Bedingung allerdings, dass eine Krankenschwester jeden Tag kam, nach ihm sah und die Verbände wechselte. Olivier, der Fahrer, holte sie am Eingang der Klinik ab, während Mimi loszog, um ein paar Anziehsachen aus Philippes Apartment zu packen. Zu dem Zeitpunkt, als sich die braven Bürger von Marseille an den Mittagstisch setzten, passierte Olivier mit seinen Fahrgästen das zweiflügelige Eingangstor, das zum Haus auf den Klippen führte.
»Seltsam«, sagte Philippe. »Ich glaube, ich kenne das Haus.« Er nickte ein oder zwei Mal, während er sich umschaute. »Ich bin mir sogar sicher, dass ich es kenne. Vor ein paar Jahren – es muss zur Zeit der Nachrichtenflaute gewesen sein – hat die Zeitung einen groß aufgemachten Sonderbericht über die Residenzen der Reichen und Berühmten von Marseille gebracht. Dieses Anwesen war auch darunter. Es gehörte Reboul, bevor er Le Pharo kaufte. Vielleicht befindet es sich noch heute in seinem Besitz.« Er blickte Sam mit einer Miene an, die infolge seines blauen Auges grimmig wirkte. »Wie bist du ausgerechnet an dieses Objekt gekommen?«
Sam fühlte sich schon seit Tagen unbehaglich, weil er Phil ippe die Verbindung zu Reboul verheimlicht hatte. Er beschloss, dass es an der Zeit war, ihm reinen Wein einzuschenken. »Wir müssen uns unterhalten«, erklärte er. »Aber nicht mit leerem Magen. Das ist eine lange Geschichte. Warten wir bis nach dem Mittagessen damit.«
Doch der Zeitraum war für Philippe leider zu lang, wie sich zeigte. Als Mann, der unbedingt seinen Mittagsschlaf brauchte, hatte er schon beim Nachtisch Mühe, die Augen offen zu halten. Überdies waren die Schmerzen seiner gebrochenen Rippen heftiger geworden, da die Wirkung der Medikamente nachließ. Erst in den frühen Abendstunden, der l’heure du pastis, fanden sich alle auf der Terrasse ein. Sam sammelte seine Gedanken und erzählte von Anfang an.
Philippe lauschte gebannt. Eine spannende Story, die Teil einer anderen, vorausgegangenen Geschichte war, und er erklärte sich nur mit dem größten Widerstreben einverstanden, Rebouls Namen in dem Artikel, den er darüber zu schreiben gedachte, mit keiner Silbe zu erwähnen.
Für den
Weitere Kostenlose Bücher