Der Coup von Marseille
eine besorgen, durch eine Freundin, die im La Timone arbeitet. Ein großes Krankenhaus, die haben alles da – einschließlich Kittel in rauen Mengen. Soll ich auch ein Stethoskop beschaffen?«
Sam lächelte erleichtert. »Warum nicht? Am besten gleich zwei.«
Sie kamen überein, dass Daphne am Abend gegen neun zum Haus kommen sollte, und kurz vor zehn würden sie zum Vieux Port aufbrechen. Sam sah zu, wie sie den alten Citro ë n durch das Eingangstor steuerte und brachte im Geist ein dreifaches Hoch auf sie aus. Angesichts so beherzter Frauen wie Daphne war es kein Wunder, dass das britische Empire sich so lange gehalten hatte, dachte er.
Sam fand Mimi und Philippe am Pool – Mimi in eine Decke gehüllt auf einer bequemen Liege unter einem Sonnenschirm, Philippe am flachen Ende des Beckens mit den Gymnastikübungen beschäftigt, die ihm die Krankenschwester verordnet hatte. Er winkte Sam zu und stieg die Treppe empor, wobei er bei jedem Schritt zusammenzuckte. »Seltsam«, meinte er. »Im Wasser kann ich mich völlig schmerzfrei bewegen, aber jetzt … Ouf! Wie ist es gelaufen?«
»Wir haben unsere Krankenschwester: Miss Perkins, die Lady, die mir bei der Präsentation geholfen hat. Sie ist einsame Spitze. Sie kommt heute Abend in voller Montur hierher. Wenn ihr wollt, kann sie bei Mimi Fieber messen.«
»Was ist mit deiner Kluft?«
»Olivier holt sie gerade ab. Und die beiden Jungs aus Korsika werden um Punkt neun hier sein. Wir fahren gemeinsam los. Wenn wir um kurz nach zehn auf der Jacht erscheinen, zwischen Abendessen und Schlafenszeit, kommen wir vermutlich gerade recht. Mit ein wenig Glück sind dann alle betrunken.«
»Ist auf dem Schnellboot noch Platz für einen gehandicappten Journalisten?«
»Keine Chance. Aber betrachte es mal aus einer anderen Perspektive: Du bekommst deine Geschichte, ohne einen Finger krumm zu machen.«
17. Kapitel
E in warmer Abend mit einem lauen Lüftchen verhieß in Marseille eine sternenklare, windstille Nacht. Ein gutes Zeichen, dachte Sam. Der Mensch kann nahezu alles planen mit Ausnahme des Wetters. Regen und ein kalter, starker Fallwind wie der Mistral in einem offenen Schnellboot hätten sich als bedrückender Auftakt der Expedition erwiesen, – einem Unternehmen, bei dem es auch so schon genug Probleme zu bewältigen galt.
Er blickte auf seine Uhr: halb neun. Es war an der Zeit, sich in Dr. Ginoux zu verwandeln, Spezialist für ansteckende Tropenkrankheiten. Er ging ins Schlafzimmer, wo seine Verkleidung – mit den besten Grüßen von Rebouls Kontaktleuten – au f dem Bett ausgebreitet lag: vollständige OP-Bekleidung, bestehend aus OP-Kasack und OP-Hose, ein Paar weißer Gummicrocs (rutschfest und daher unverkennbar das bevor zugte Schuhwerk des Ärztestandes), eine eng anliegende OP-Haube aus Baumwolle, eine chirurgische Gesichtsmaske und eine abgewetzte Gladstone-Arzttasche, der man ansah, dass sie häufig getragen worden war. Daneben lagen zwei weitere Ausrüstungsgegenstände, die Sam erst am Nachmittag erworben hatte: ein Hightech-Lichtmessgerät, wie es professionelle Fotografen benutzen, und eine schwere Brille mit schwarzem Rahmen und Fensterglas.
Sam zog sich aus. Ob der korrekt gekleidete Arzt wohl medizinisch geprüfte und für gut befundene Unterwäsche trug? Zu dumm. Er schlüpfte in OP-Kasack und Hose, setzte die Maske, die Brille und die eng anliegende OP-Haube auf; dann ging er zu dem hohen Spiegel, um seine Montur zu inspizieren, wobei die Crocs auf dem Parkett quietschten. Eine völlig unbekannte Gestalt trat ihm entgegen. Er spürte, wie sein Adrenalinpegel stieg, und er schauderte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern.
Er überprüfte den Inhalt der beiden Fächer in der Gladstone-Tasche. Sie enthielten genug Thermometer, um bei einer ganzen Bootsbesatzung Fieber zu messen, dazu mehrere Paar Latexhandschuhe, eine Diagnostikleuchte zur Untersuchung des Mund-Rachen-Raums, zusätzliche Schutzmasken für das Gesicht und ein halbes Dutzend bereits aufgezogene Spritzen. Im anderen Fach entdeckte er eine Auswahl Verbandsmaterial, eine antiseptische Wundsalbe und ein Stethoskop. Er war einsatzbereit. Nun musste er nur noch die Patientin finden.
Mimi und Philippe, die im Wohnzimmer auf ihn gewartet hatten, begutachteten ihn. Mimi war erstaunt und erklärte kopfschüttelnd, Sam sei gar nicht mehr wiederzuerkennen. Und sein Anblick ein wenig beängstigend, fügte sie hinzu.
Sam meinte aus alledem schließen zu dürfen, dass sie ihn früher,
Weitere Kostenlose Bücher