Der Coup von Marseille
ohne Verkleidung, wohl ganz ansehnlich gefunden hatte. Philippe war mit Sams Verwandlung restlos einverstanden und nickte beifällig. »Sehr gut. Vielleicht könnten Sie sich mal meine Rippen anschauen, Herr Doktor? Aber im Ernst – nicht einmal Elena würde dich erkennen.«
Sam schob die Gesichtsmaske nach unten, bis sie um sei nen Hals hing, nahm Brille und OP-Haube ab und warf einen Blick auf seine Uhr. Er hatte das Gefühl, als wären die Zeiger stehen geblieben.
»Diese Warterei ist schlimm, oder?«, fragte Mimi.
»Und wie.«
Sie vernahmen das Knirschen von Reifen auf dem Kies und das Zuknallen von Autotüren. Sam eilte zur Haustür, um zu öffnen. Die Figatelli-Brüder, immer noch mit ihren ausgebeulten Taschen, ragten im Halbdunkel des Eingangs auf.
»Sind Sie en forme, Sam? Bereit zum Aufbruch? Wir waren unten im Hafen, haben mal einen Blick auf das Boot geworfen. Alles bestens und wir haben Glück mit dem Wetter. Das Meer ist so.« Jo strich mit der flachen Hand, Handfläche nach unten, an seinem Körper vorbei, eine spiegelglatte Fläche andeutend.
Sam machte die beiden Korsen mit Mimi und Philippe bekannt und hatte sie gerade ins Schlafzimmer geführt, wo sie sich umziehen konnten, als er das blecherne Scheppern eines weiteren Autos hörte, Miss Perkins 2CV. Das letzte Mitglied der Truppe war eingetroffen.
Schwester Perkins, wie Sam sie von nun an nennen würde, war eine untadelige Vertreterin des medizinischen Berufsstandes. Ihre bisher lockere Frisur war durch einen strengen Knoten ersetzt worden. Der lange weiße Kittel, starr vor lauter Stärke, besaß zwei Brusttaschen, von denen eine mit einer ganzen Batterie von Fieberthermometern bestückt war. An der Außenseite der anderen Tasche war mit einem Clip eine Krankenschwesteruhr mit Skalen für die Pulsmessung und schwarzem Band befestigt. Ein gleichermaßen frisch gestärk ter weißer Rock, weiße Strümpfe, weiße Schuhe und ein Klemmbrett mit Kugelschreiber vervollständigten die Schwesterntracht. Florence Nightingale, Begründerin der modernen westlichen Krankenpflege, wäre stolz auf sie gewesen.
»Perfekt«, sagte Sam. »Absolut perfekt.«
»Das hoffe ich doch sehr, mein Lieber. Ich bin ein wenig spät dran, weil ich alles noch einmal stärken musste. Diese jungen Dinger heutzutage benutzen nie genug Stärke, und dann wirkt die Tracht zerknittert; das wäre für mich unannehmbar.«
Mimi und Philippe starrten sie fasziniert an, wie hypnotisiert von dieser Mischung aus Reinheit und Tatkraft.
»Mimi und Philippe, das ist Daphne«, sagte Sam. »Sie ist unsere Geheimwaffe.« Lächeln und Händedruck wurden ausgetauscht, und Philippe wollte gerade fragen, welche Aufgabe einer Geheimwaffe an Bord eines Schiffes zugedacht sei, als Daphne ihm über die Schulter spähte und rief: »O mein Gott – was sind das denn für stramme junge Männer!«
In der Polizeiuniform, die aussah wie eine zweite Haut, wirkten Flo und Jo noch größer und unüberwindlicher, und die Pistolen und Handschellen am Gürtel verliehen ihrem ohnehin schon Furcht einflößenden Erscheinungsbild eine bedrohliche Note. Sie grüßten zackig, nahmen die Käppis ab und grinsten.
»Das sind Florian und Joseph«, erwiderte Sam. »Aber ich denke, sie ziehen es vor, Flo und Jo genannt zu werden.«
»Keine plumpen Vertraulichkeiten!«, wiegelte Daphne ab und blickte von einem zum anderen. »Aber wie halten wir die beiden auseinander?«
»Ich bin der gut Aussehende«, erklärten sie beide wie aus einem Munde.
Sam führte die drei ins Esszimmer und bat sie, Platz zu nehmen. »Ich würde gerne ein paar Punkte mit Ihnen besprechen, damit wir heute Nacht alle an einem Strang ziehen. Unterbrechen Sie mich, falls Sie Fragen haben. Okay?« Er blickte in die aufmerksamen Gesichter und lächelte. »Als Erstes danke ich Ihnen, dass Sie bereit sind, mir zu helfen. Die Situation ist völlig verfahren, und ich wüsste nicht, was ich ohne Sie machen sollte. Diese Leute haben sich bereits unseren Freund hier vorgeknöpft«, er deutete mit dem Kopf in Philippes Richtung, »und wenn ich daran denke, dass sie Elena in ihrer Gewalt haben, habe ich das Gefühl … Nun, ich bin sicher, Sie können sich vorstellen, was ich empfinde. Deshalb danke ich Ihnen. Herzlichen Dank.«
Sam hielt inne, um Atem zu schöpfen und seine Gedanken zu ordnen. »Unser Problem Nummer eins ist, an Bord von Wappings Jacht zu gelangen. Die Verkleidung wird zweifellos dabei helfen, und nicht zu vergessen die Geschichte von
Weitere Kostenlose Bücher