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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Betet für mich! …«
    Das waren seine letzten Worte.
    Michael Strogoff fuhr fort, die Erde aufzureißen, welche durch festes Zusammentreten fast felsenhart geworden war, und es gelang ihm endlich, den Körper des Armen heraus zu ziehen. Er horchte, ob sein Herz noch schlüge. – Es schlug nicht mehr.
    Er wollte ihn nun noch beerdigen, um die Leiche des Freundes nicht auf der Steppe liegen zu lassen, und erweiterte und vergrößerte das Loch, Nikolaus Pigassoss Sarg bei seinen Lebzeiten, zum Grabe für den Entseelten. Der treue Sersko sollte neben ihm seinen Platz finden.
    Da entstand auf der eine halbe Werft entfernten Landstraße ein lauter Tumult.
    Michael Strogoff horchte.
    Aus dem Geräusch erkannte er, daß sich eine Abtheilung Berittener nach der Dinka zu bewege.
    »Nadia, Nadia!« sagte er heimlich.
    Bei seiner Stimme erhob sich die noch immer im Gebet versunkene junge Liefländerin.
    »Dort, sieh dort! raunte er ihr zu.
    – Ah, die Tartaren!« flüsterte sie.
    Jene Reiter gehörten in der That zur Avantgarde des Emirs, welche schnell auf dem Wege nach Irkutsk dahintrabte.
    »Sie werden mich nicht abhalten, ihn zu beerdigen«, sagte Michael Strogoff.
    Schweigend setzte er seine Arbeit fort.
    Bald ward der Körper des armen Nikolaus mit über der Brust gekreuzten Händen in die Grube gelegt. Auf die Knie geworfen, sprachen Michael Strogoff und Nadia ein letztes Gebet für das harmlose und gute Geschöpf, das die Ergebenheit gegen sie mit seinem Leben bezahlt hatte.
    »Und nun, sagte Michael Strogoff, indem er die Leiche mit Erde überfüllte, nun sollen die Steppenwölfe Dich nicht verzehren!«
    Dann streckte er drohend die Hand aus gegen den vorüberziehenden Reiterschwarm.
    »Vorwärts, Nadia!« sagte er.
    Michael Strogoff durfte nun die von den Tartaren betretene Hauptstraße nicht mehr einhalten, sondern mußte sich quer durch die Steppe schlagen, um Irkutsk zu umgehen. Jetzt hatte es demnach mit der Ueberschreitung der Dinka keine besondere Eile.
    Nadia konnte nicht weiter wandern, aber sie konnte doch für ihn sehen. Er nahm sie auf die Arme und wandte sich nach dem Südwesten der Provinz.
    Mehr als 200 Werft lagen noch vor ihnen. Wie legte er sie zurück? Wie kam es, daß ihn die Anstrengung nicht überwältigte? Wie konnte er sich unterwegs ernähren? Welch übermenschliche Energie half ihm, die ersten Abhänge der Sayanskberge zu überklettern? – Weder Nadia noch er hätten auf diese Fragen die Antwort gewußt.
    Und doch, – zwölf Tage später, am 2. October, breitete sich eine ungeheure Wasserfläche vor Michael Strogoff’s Füßen aus.
    Er stand am Baikalsee.
Zehntes Capitel.
Baikal und Angara.
    Der Baikalsee liegt 1700 Fuß über dem Meere. Seine Länge beträgt gegen 900 Werst und etwa 100 seine Breite. Seine Tiefe ist nicht bekannt. Frau von Bourboulon berichtet, nach den Sagen der Schiffer, daß derselbe »Frau Meer« genannt sein will und in Wuth geräth, wenn man ihn »Herr See« titulirt. Nach der Legende ist indessen noch niemals ein Russe in demselben ertrunken.
    Dieses gewaltige, von mehr als 300 Zuflüssen ernährte Süßwasserbecken wird von einem prächtigen Rahmen vulkanischer Berge umschlossen. Es hat keinen anderen Abfluß als die Angara, welche bei Irkutsk vorüber strömt und sich etwas oberhalb der Stadt in den Jeniseï ergießt. Die Berge, welche den See einrahmen, bilden einen Arm der Tunzugen einer Unterabtheilung des orographischen Systems des Altaïgebirges.
    In der jetzigen Jahreszeit machte sich die Kälte schon bemerkbar. Der Herbst schien wirklich wie es in diesem, ganz eigenthümlichen klimatischen Bedingungen unterworfenen Landstriche dann und wann vorzukommen pflegt, in einem vorzeitigen Winter zu verschwinden. Man schrieb jetzt die ersten Tage des Octobers. Die Sonne verschwand schon um fünf Uhr vom Himmel und die Temperatur sank während der langen Nacht wohl bis auf den Gefrierpunkt herab. Schon deckte der erste Schnee der nun bis Anfang des nächsten Sommers dauern sollte, die benachbarten Gipfel des Baikal. Während des sibirischen Winters wird dieses leicht mehrere Fuß tief mit Eis bedeckte Binnenmeer von Schlitten und Karawanen vielfach belebt.
    Geschehe es nun wegen des Verstoßes gegen die gute Lebensart, wenn man ihn »Herr See« nennt, oder aus irgend einem anderen meteorologischen Grunde, jedenfalls ist der Baikal oft von heftigen Stürmen bewegt. Seine, gleich denen aller Binnenmeere, nur kurzen Wellen werden von den Flößen, den Prahmen und

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