Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
uns und dem Vortrab des Emirs gewußt. Aber Du kannst Dich nicht mehr fortschleppen, meine arme Nadia?
    – Komm, Michael!« lautete Nadia’s Antwort, mit der sie die Hand ihres Gefährten ergriff und ihn weiter führte.
    In der Entfernung von zwei bis drei Werst kreuzte die Dinka die Straße nach Irkutsk. Die letzte Anstrengung, welche ihr Begleiter forderte, wollte das junge Mädchen noch auszuhalten versuchen. Beide gingen beim Scheine des Wetterleuchtens weiter. Sie durchschritten nun eine grenzenlose Wüste, in der sich der kleine Fluß verlor. Kein Baum, kein Hügel erhob sich auf dieser ungeheuren Ebene, mit welcher die sibirische Steppe wieder begann. Kein Lufthauch bewegte die Atmosphäre, durch deren ruhige Schichten sich der geringste Ton unendlich weit fortgepflanzt hätte.
    Plötzlich hielten Michael Strogoff und Nadia inne, als ob ihre Füße in eine Aushöhlung des Bodens gekommen wären.
    Aus der Steppe her ertönte Gebell.
    »Hörst Du das?« fragte Nadia.
    Dann folgte ein erbarmenswerther Schrei, wie ein verzweifelter, letzter Ruf eines Menschen, der dem Tode nahe ist.
    »Nikolaus! Nikolaus!« rief das junge Mädchen, von einer düsteren Ahnung erfüllt.
    Michael Strogoff horchte und schüttelte den Kopf.
    »Komm, Michael, komm!« bat Nadia.
    Und unter der Herrschaft einer heftigen Aufregung gewann sie, die sich eben noch kaum fort zu bewegen vermochte, ihre Kräfte wieder.
    »Wir sind von der Straße abgekommen, sagte Michael Strogoff, der nicht mehr den feinsandigen Fußboden, sondern ein dürres Gras unter seinen Filßen fühlte.
    – Ja, es muß sein! … erwiderte Nadia, dort von rechts her erklang jener Hilferuf.«
    Einige Minuten später befanden sich Beide nur noch eine halbe Werst vom Flusse entfernt.
    Ein zweites Bellen ließ sich hören, das zwar schwächer, aber unzweifelhaft näher erscholl.
    Nadia blieb stehen.
    »Ja, sagte Michael, das war Sersko’s Bellen. Er ist seinem Herrn gefolgt.
    – Nikolaus!« rief das junge Mädchen.
    Keine Antwort ließ sich vernehmen.
    Nur einige Raubvögel flatterten auf und verschwanden in den Tiefen des Himmels.
    Michael Strogoff lauschte. Nadia suchte die auf Augenblicke erleuchtete Ebene zu überschauen, sah aber nichts.
    Doch noch einmal erklang eine Stimme in kläglichem Tone.
    »Michael!« verstanden sie deutlich.
    Dann sprang ein Hund, über und über blutig, an Nadia heran. Es war Sersko.
    Nikolaus konnte nicht fern sein. Er allein hatte den Namen Michael stammeln können. Wo war er? Nadia fand kaum noch die Kraft, ihm zuzurufen.
    Michael Strogoff kroch auf der Erde hin und suchte mit den Händen.
    Da erhob Sersko ein neues Gebell und stürzte auf einen ungeheuren Raubvogel zu, der tief auf der Erde hinstrich.
    Es war ein Geier. Als Sersko auf ihn zusprang, flog er ein Stück auf, kehrte aber zurück und stieß auf den Hund.
    Noch einmal stürzte sich dieser gegen den Geier, da traf ihn der furchtbare Schnabel auf den Kopf und leblos brach das treue Thier zusammen.
    Zu gleicher Zeit entfuhr Nadia ein Schrei des Entsetzens.
    »Da … dat« rief sie.
    Aus der Erde ragte ein Kopf hervor. Ohne das Leuchten am Himmel, das die Steppe erhellte, hätte sie mit dem Fuße daran gestoßen.
    Nadia fiel neben diesem Kopfe auf die Knie.
    Nikolaus war, nach der schrecklichen Sitte der Tartaren, bis an den Hals eingescharrt in der Steppe verlassen worden, um hier elend Hungers zu sterben oder unter dem Zahne der Wölfe oder den Schnäbeln der Raubvögel umzukommen. Eine schreckliche Todesart für das Opfer, welches der Boden gefangen hält, welches die Erde halb erdrückt, die der Verurtheilte nicht von sich zu stoßen vermag, da ihm die Arme am Körper befestigt werden, wie die einer Leiche im Sarge. So lebt, so verschmachtet der Verurtheilte in der thonigen Erde und kann nur den Tod herbei rufen, der ihm doch so langsam naht!
    Hier hatten die Tartaren seit drei Tagen ihren Gefangenen eingescharrt!
    … Seit drei martervollen Tagen wartete Nikolaus auf Hilfe, die ihm nun leider zu spät werden sollte.
    Die Geier hatten schon das aus dem Boden hervorstehende Haupt gewittert, und seit mehreren Stunden vertheidigte der Hund seinen Herrn gegen die gefräßigen Vögel.
    Michael Strogoff brach mit seinem Messer die Erde auf, um den Lebenden aus dem Grabe zu befreien.
    Nikolaus’ schon geschlossene Augen öffneten sich noch einmal.
    Er erkannte Michael und Nadia.
    »Lebt wohl, meine Freunde, flüsterte er. O wie wohl ist mir, Euch noch einmal gesehen zu haben …

Weitere Kostenlose Bücher