Der Courier des Czar
drei Tagen erst in Omsk eingetroffen und ohne jenes unangenehme Zusammentreffen in Ischim und dem beklagenswerthen Vorfalle, der ihn drei Tage lang am Ufer des Irtysch festhielt,
»Mein Sohn! Mein Sohn!« (S. 170.)
hätte Michael Strogoff Jenen auf dem Wege nach Irkutsk gewiß weit überholt.
Und wer weiß, wie viel Unglück in der nächsten Zeit dadurch vermieden worden wäre!
Jedenfalls, ja, mehr als je vorher mußte Michael Strogoff Iwan Ogareff ausweichen, um von Letzterem nicht gesehen zu werden. Kam einst der Zeitpunkt, ihm Auge in Auge gegenüber zu treten, so würde er ihn
»Weißt Du, alte Frau, daß ich Dich foltern lassen kann.« (S. 173.)
wieder zu finden wissen, wenn Jener sich auch zum Herrn von ganz Sibirien aufgeworfen hätte.
Der Musik und er nahmen also ihren Weg durch die Stadt wieder auf und gelangten unbelästigt nach dem Posthause. Nach Einbruch der Nacht konnte es nicht allzu schwierig sein, Omsk durch eine der Breschen zu verlassen. Dagegen stellte sich die Unmöglichkeit heraus, an Stelle des Tarantaß ein anderes Fuhrwerk zu erhalten. Es fand sich weder ein Wagen zu miethen, noch zu kaufen. Aber bedurfte denn Michael Strogoff jetzt wirklich eines Wagens? War er für den übrigen Theil der Reise nicht allein? Ihm mußte auch schon ein Reitpferd genügen, und ein solches war glücklicher Weise zu beschaffen. Er bekam ein tüchtiges, zum Ertragen schwerer Strapazen offenbar geeignetes Thier, von dem sich Michael Strogoff, ein gewandter, ausdauernder Reiter, den größten Nutzen versprach.
Das Pferd kostete eine bedeutende Summe; nach einigen Minuten schon stand es zum Aufbruch bereit.
Es war jetzt etwa um vier Uhr Nachmittags.
Da Michael Strogoff die Nacht abwarten mußte, um die Umwallung zu passiren, sich in den Straßen von Omsk aber doch nicht zeigen wollte, so blieb er gleich im Posthause und ließ sich daselbst einige Stärkungsmittel besorgen.
In dem öffentlichen Wartesaale des Hauses ging es sehr lebhaft zu. So wie wir es von den russischen Bahnhöfen kennen gelernt haben, liefen die ängstlichen Einwohner hier zusammen, um neue Nachrichten zu erhaschen. Man sprach von der bevorstehenden Ankunft eines Corps russischer Truppen, zwar nicht in Omsk, aber in Tomsk, – eines Corps, das diese Stadt den Tartaren Feofar-Khan’s wieder entreißen sollte.
Michael Strogoff lauschte gespannt auf jedes in seiner Umgebung gesprochene Wort, vermied es aber, sich selbst in ein Gespräch einzulassen.
Plötzlich machte ein Aufschrei ihn erzittern, ein Schrei, der hinabdrang bis zum Grunde seiner Seele, und an sein Ohr schlugen die beiden Worte:
»Mein Sohn! Mein Sohn!«
Seine Mutter, die alte Marfa, stand vor ihm. Sie lächelte und sie zitterte doch vor Freude und streckte ihm sehnsüchtig die Arme entgegen.
Michael Strogoff erhob sich. Er wollte ihr entgegenfliegen …
Da hielt ihn der Gedanke an seine Pflicht, an die ernsthafte Gefahr für seine Mutter und ihn bei dieser bedauerlichen Begegnung plötzlich zurück, und er gewann so viel Herrschaft über sich, daß auch nicht ein Muskel seines Gesichtes zuckte.
Zwanzig Personen füllten jetzt den Wartesaal. Unter ihnen konnten recht wohl einige Spione sein, und wußte man denn nicht auch, daß Marfa Strogoff’s Sohn zu dem Specialcorps der Couriere des Czaren gehörte?
Michael Strogoff sprach kein Wort.
»Michael! rief seine Mutter.
– Wer sind Sie, geehrte Dame? fragte Michael Strogoff, der die Worte mehr hervorstammelte als aussprach.
– Wer ich bin? Das fragst Dur Mein Kind, erkennst Du Deine Mutter nicht mehr wieder?
– Sie täuschen sich! … antwortete Michael Strogoff kalt, eine Aehnlichkeit führt Sie irre …«
Die alte Marfa ging gerade auf ihn zu und stellte sich ihm Aug’ in Auge gegenüber.
»Du bist nicht Peter und Marfa Strogoff’s Sohn?« sagte sie.
Michael Strogoff hätte sein Leben darum gegeben, seine Mutter offen in die Arme schließen zu dürfen, aber wenn er nachgab, war es nicht nur um ihn, sondern auch um sie, um seinen Auftrag, um seinen Eid geschehen! Er bezwang sich nach Kräften, er schloß die Augen, um nicht die angsterregten Züge in dem Antlitz der kindlich verehrten Mutter sehen zu müssen; er zog seine Hände zurück, um nicht unwillkürlich den zitternden Händen, die nach ihm verlangten, zu begegnen.
»Ich weiß in der That nicht, liebe Frau, was ich aus Ihren Worten machen soll, antwortete er, einige Schritte zurückweichend.
– Michael! rief noch einmal die
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