Der Courier des Czar
Alcide Jolivet’s Zügen malte sich die vollständigste und hochmüthigste Gleichgiltigkeit.
Empfand es Iwan Ogareff, daß diese Haltung des Gefangenen etwas Beleidigendes für ihn hatte? Jedenfalls ließ er nichts davon bemerken.
»Wer sind Sie, meine Herren? fragte er rasch mit zwar sehr kaltem, aber minder als gewöhnlich rauhem Tone.
– Zwei Correspondenten englischer und französischer Journale, erwiderte Harry Blount lakonisch.
– Sie besitzen jedenfalls Papiere, Ihre Identität nachzuweisen?
– Hier sind Schriftstücke, welche uns in Rußland bei den Kanzlern Englands und Frankreichs accreditiren.«
Iwan Ogareff nahm die Papiere, die ihm Harry Blount hinreichte, entgegen und las sie mit Aufmerksamkeit durch.
»Sie begehren die Erlaubniß, unseren militärischen Operationen in Sibirien zu folgen? begann er darauf.
– Wir begehren nichts als frei zu sein, entgegnete lakonisch der englische Reporter.
– Sie sind es, meine Herren, antwortete Iwan Ogareff, und ich bin sehr begierig, Ihre Berichte im Daily-Telegraph zu lesen.
– Mein Herr, versetzte Harry Blount, mit seinem nie aus dem Gleichgewicht kommenden Phlegma, die Nummer kostet sechs Pence ohne das Postporto.«
Dabei wendete sich Harry Blount nach seinem Begleiter zurück, der seine Worte stillschweigend zu bestätigen schien.
Iwan Ogareff lächelte nicht, gab seinem Pferde die Sporen und verschwand an der Spitze seiner Escorte bald in einer Staubwolke.
»Nun, Herr Jolivet, was meinen Sie über Iwan Ogareff, den Oberanführer der Tartarenheere? fragte Harry Blount.
– Ich denke noch daran, lieber College, erwiderte lächelnd Alcide Jolivet, daß jener Housch-Begui eine recht hübsche Geste machte, als er den Befehl gab, uns um einen Kopf kürzer zu machen!«
Welche Empfindung Iwan Ogareff auch bei seinem Verfahren gegen die Journalisten leiten mochte, jedenfalls waren diese frei und konnten den Kriegsschauplatz nach Belieben durchwandern. Nun kam es ihnen gewiß nicht in den Sinn, die Flinte in’s Korn zu werfen. Auch die Antipathie, welche sie früher wohl gegen einander fühlten, hatte einer innigen Freundschaft Platz gemacht. Durch die Umstände einander genähert, dachten sie gar nicht daran, sich zu trennen. Die leidigen Fragen einer unnützen Eifersucht waren für immer gelöscht. Harry Blount konnte niemals vergessen, was er seinem Begleiter schuldete, der es jedoch vermied, ihn irgend wie daran zu erinnern; die gegenseitige Annäherung erleichterte die Zwecke der Reportage, gewiß zum Vortheile der beiderseitigen Leser.
»Und nun, begann Harry Blount, was werden wir nun mit unserer Freiheit anfangen?
– Zum Teufel, wir werden sie ausnutzen und ruhig nach Tomsk gehen, um zu sehen, was dort geschieht.
– Bis zu dem, hoffentlich nicht mehr fernen Augenblick, der es gestattet, uns einem ruf fischen Corps anzuschließen? –
– Ganz recht, mein lieber Blount; man darf sich nicht zu sehr tartarisiren! Die bessere Rolle spielen immer diejenigen, deren Waffen die Civilisation verbreiten, und offenbar hätten die Volksstämme Centralasiens Alles zu verlieren und gar nichts bei diesem Einfalle der Halbwilden zu gewinnen; die Russen werden sie aber schon zu vertreiben wissen; das kann nur eine Frage der Zeit sein.«
Das Erscheinen Iwan Ogareff’s, dem Alcide Jolivet und Harry Blount ihre Freiheit verdankten, stellte im Gegentheil aber eine große Gefahr für Michael Strogoff dar. Wenn der Zufall den Courier des Czaren Iwan Ogareff vor Augen führte, mußte dieser ohne Zweifel den Reisenden wieder erkennen, den er auf dem Relais zu Ichim so brutal behandelt hatte, und wenn Michael Strogoff damals auch sich nicht, wie er es in jedem anderen Falle gethan hätte, gegen die ihm angethane Schmach vertheidigte, so mußte er doch der Gegenstand erhöhter Aufmerksamkeit werden, – was der Erreichung seiner Ziele gewiß nicht förderlich sein konnte.
Hierin lag die bedenklichere Seite der Anwesenheit Iwan Ogareff’s. Dagegen durfte es als eine glückliche Folge seiner Ankunft betrachtet werden, daß noch an demselben Tage der Befehl zur Aufhebung des Lagers und zur Verlegung des Quartiers nach Tomsk erging.
Michael Strogoff’s lebhafter Wunsch ging hiermit in Erfüllung. Seine Absicht war es, wie bekannt, Tomsk inmitten der übrigen Gefangenen zu erreichen, d.h. ohne dabei Gefahr zu laufen, Plänklern in die Hände zu fallen, welche die Umgegend jener wichtigen Stadt in großer Anzahl umschwärmten. In Folge der Ankunft Iwan
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