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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Ogareff’s aber und der Furcht, von diesem erkannt zu werden, entstand ihm doch die Frage, ob er nicht lieber auf den ersteren Vortheil verzichten und unterwegs zu entfliehen versuchen solle.
    Michael Strogoff hätte sich wahrscheinlich noch für das letztere entschieden, als ihm zu Ohren kam, daß Feofar-Khan und Iwan Ogareff an der Spitze mehrerer tausend Reiter schon nach jener Stadt abgegangen seien.
    »Ich werde es also abwarten, sagte er sich, wenn sich nicht eine ganz ausnahmsweise günstige Gelegenheit zur Flucht darbietet. Diesseit Tomsk überwiegen ja die schlechten Chancen, jenseit desselben nehmen die guten immer zu, da ich dort binnen wenig Stunden über die am meisten nach Osten vorgeschobenen Posten der Tartaren hinausgelangen kann. Noch drei Tage Geduld und dann stehe Gott mir bei!«
    In der That brauchte es nur einer Reise von drei Tagen, welche die Gefangenen unter strenger Aufsicht einer starken Abtheilung Tartaren durch die Steppe zurückzulegen hatten. Zwischen dem Lager und der Stadt lag eine Entfernung von einhundertfünfzig Werft. Den Soldaten des Emirs, die an nichts Mangel litten, ward dieser Weg zwar leicht genug, desto schwerer aber den unglücklichen, durch Entbehrungen aller Art geschwächten Gefangenen. Mehr als eine Leiche sollte ihren Zug über die sibirische Heerstraße bezeichnen.
    Am 12. August um zwei Uhr Nachmittags, bei großer Hitze und wolkenlosem Himmel, gab der Toptschi-Baschi Befehl zum Aufbruch.
    Nachdem sie sich Pferde gekauft hatten, waren Alcide Jolivet und Harry Blount schon auf dem Wege nach Tomsk, wo die Logik der Thatsachen die wichtigsten Personen dieser Geschichte voraussichtlich vereinigen mußte. Unter den von Iwan Ogareff nach dem tartarischen Lager geschleppten Gefangenen befand sich auch eine bejahrte Frau, deren Schweigsamkeit sie von allen Uebrigen, welche ihr Loos theilten, auffallend unterschied. Kein Klagelaut kam über ihre Lippen. Man hätte sie eine Bildsäule des Schmerzes nennen können. Diese fast stets unbewegliche, ruhige und aufmerksamer als die Anderen bewachte Frau wurde, ohne daß sie es ahnte oder sich darum zu kümmern schien, stets von Sangarre beobachtet. Trotz ihres Alters hatte auch sie dem Gefangenentransporte zu Fuße folgen müssen, ohne daß Jemand versucht hätte, ihr irgend eine Erleichterung zu gewähren.
    Dagegen sendete die weise Vorsehung ein muthiges, liebenswürdiges anderes Wesen an ihre Seite, das ganz dazu geschaffen schien, ihr Beistand zu leisten. Unter ihren Unglücksgefährten befand sich ein junges, durch seine Schönheit und Kaltblütigkeit ausgezeichnetes Mädchen, das es sich zur Aufgabe machte, über sie zu wachen. Noch war zwischen den beiden Gefangenen kaum ein Wort gewechselt worden, und doch war das junge Mädchen stets zur Hand, wenn es der alten Frau nur den geringsten Dienst leisten konnte. Letztere hatte von Anfang an die stumme Sorgfalt der Unbekannten nicht ohne einiges Mißtrauen gesehen. Nach und nach besiegte aber der gerade, offene Blick des Mädchens, ihre Zurückhaltung und die geheimnißvolle Sympathie, welche die Gemeinsamkeit des Schmerzes zwischen zwei gleichmäßig Unglücklichen so leicht hervorruft, die stolze, halb abweisende Kälte Marfa Strogoff’s. Nadia – denn sie war es – hatte auf diese Weise unbewußt der Mutter einen Theil der Wohlthaten zurückzahlen können, die sie dem Sohne schuldete. Ihr von Natur gutes Herz hatte sie hier doppelt gut geleitet. Dadurch, daß sie Jener gern diente, erwarb sich Nadia für ihre Jugend und Schönheit den Schutz der älteren Gefangenen. Mitten in dieser Menge elender, durch ihre Leiden gereizter Leute wußten sich diese beider schweigsamen weiblichen Wesen, deren Eine die Großmutter, die Andere die Enkelin zu sein schien, doch immer eine Art Hochachtung zu sichern.
    Nadia war, nachdem sie die tartarischen Plänkler in die Barken auf dem Irtysch geschleppt hatten, nach Omsk gebracht worden. In der Stadt gefangen gehalten, theilte sie das Loos aller derjenigen, welche die Truppen Iwan Ogareff’s bis dahin eingebracht hatten, und folglich auch das Marfa Strogoff’s.
    Ohne ihre unbeugsame Energie wäre Nadia wohl dem doppelten Schlage, der sie traf, unterlegen. Die Unterbrechung ihrer Reise und der Tod Michael Strogoff’s drückten und empörten sie zu gleicher Zeit. Vielleicht für immer getrennt von ihrem Vater, nach so unsäglichen glücklich überstandenen Mühen, die sie ihm genähert hatten, und, um ihren Schmerz auf’s Höchste zu

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