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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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erzähle mir noch mehr von diesem Nikolaus! Ich kenne nur einen Mann, nur einen einzigen unter der jetzigen Jugend, von dem mich ein solches Benehmen nicht Wunder genommen hätte! Nikolaus Korpanoff? War das auch sein Name? Bist Du dessen sicher, meine Tochter?
    – Warum sollte er mich hierin getäuscht haben, erwiderte Nadia, da er in allen anderen Dingen die Wahrheit sprach.«
    Dennoch trieb ein ungewisses Gefühl Marfa Strogoff, an Nadia immer weitere Fragen zu stellen.
    »Du sagst mir, er sei unerschrocken gewesen, meine Tochter, Du hast mir versichert, daß er es war, sagte sie.
    – Gewiß, unerschrocken, bestätigte Nadia.
    – So wäre mein Sohn auch gewesen«, murmelte Marfa Strogoff halb für sich.
    Dann fuhr sie fort:
    »Du sagst mir auch, daß Nichts ihn aufhalten konnte, daß Nichts ihn erschreckte, daß er so mild war, bei aller Kraft, daß Du in ihm ebenso gut eine Schwester, wie einen Bruder hattest, daß er über Dich wachte, wie eine Mutter?
    – Ja, ja, erwiderte Nadia, Bruder, Schwester, Mutter, o, er war mir Alles!
    – Und auch ein Löwe, Dich zu vertheidigen?
    – Wahrhaftig, ein Löwe! antwortete Nadia; ja ein Löwe, ein Held!
    – Mein Sohn, mein Sohn! dachte die alte Sibirierin. Du sagst auch, daß er im Posthofe zu Ichim sich eine so unwürdige Behandlung gefallen ließ?
    – Ja, er ertrug sie, meinte Nadia und senkte das Haupt.
    – Er hat sie ertragen? murmelte zitternd Marfa Strogoff.
    – Mutter, Mutter! rief Nadia, verdammt ihn nicht! Er trug ein Geheimniß mit sich, worüber heut nur Gott noch Richter sein kann.
    – Und damals, fuhr Marfa Strogoff fort, den Kopf wieder aufrichtend und Nadia scharf ansehend, als wolle sie im tiefsten Grund ihrer Seele lesen, in jener Stunde der Erniedrigung, hast Du damals jenen Nikolaus Korpanoff verachtet?
    – Ich habe ihn bewundert, ohne ihn zu verstehen! erwiderte das junge Mädchen. Ich habe niemals mehr Hochachtung für ihn gefühlt.«
    Die alte Frau schwieg einen Augenblick.
    »Er war groß? fragte sie hierauf.
    – Sehr groß.
    – Und sehr schön, nicht wahr? Sprich nur meine Tochter.
    – Er war sehr schön, antwortete Nadia leicht erröthend.
    – Das war mein Sohn! Ich sage Dir, das ist mein Sohn gewesen! rief die alte Frau überwältigt und schloß Nadia in ihre Arme.
    – Dein Sohn? versetzte Nadia ganz erstaunt, Dein Sohn!
    – Weiter, drängte Marfa, komme zum Ende, mein Kind. Dein Begleiter, Dein Freund, Dein Beschützer, er hatte doch eine Mutter. Hat er Dir niemals von seiner Mutter gesprochen?
    – Von seiner Mutter? Er hat mir von seiner Mutter gesprochen, wie ich ihm von meinem Vater. O, er betete sie an, diese Mutter!
    – Nadia, Nadia! Du hast mir die Geschichte meines eigenen Sohnes erzählt«, schluchzte die alte Frau.
    Dann fügte sie ruhiger hinzu:
    »Schien es denn gar nicht in seiner Absicht zu liegen, diese Mutter, welche er, wie Du sagst, so sehr liebte, bei seiner Durchreise in Omsk einmal zu sehen?
    – Nein, erwiderte Nadia, das wollte er nicht.
    – Wie, rief Marfa, Du wagst mir Nein zu sagen?
    – Ja gewiß, aber ich muß wohl noch hinzufügen, daß Nikolaus Korpanoff aus Gründen, die ihm über Alles gingen und die ich auch selbst nicht kenne, gezwungen schien, das Land möglichst unerkannt zu durchziehen. Es war für ihn eine Frage auf Tod und Leben, und noch mehr, eine Frage der Ehre und Gewissenspflicht.
    – Eine Frage der Pflicht, der gebieterischen Pflicht, meinte die alte Sibirierin, einer solchen Pflicht, der man Alles aufopfert, für deren Erfüllung man alles Andere aufgiebt, sogar die Freude, sich einen Kuß, ach vielleicht den letzten, von seiner alten Mutter zu holen! Ich weiß jetzt Alles, Nadia, was Dir und mir bis zu dieser Stunde unbekannt blieb. Du hast es mir klar gemacht. Dennoch darf ich Dir das Licht, das Du mir angezündet hast, nicht auch leuchten lassen. Da mein Sohn Dir sein Geheimniß nicht mittheilte, so muß auch ich es ihm bewahren. Verzeihe mir, Nadia, ich kann die Wohlthat, die Du mir erwiesen, nicht ebenso vergelten.
    – Ich verlange keine Belohnung, Mutter«, antwortete Nadia.
    Der alten Sibirierin war nun Alles klar geworden, Alles, bis auf das unerklärliche Benehmen ihres Sohnes bei ihrem Anblick in dem Gasthause zu Omsk, in Gegenwart der Zeugen ihres Zusammentreffens. Sie zweifelte keinen Augenblick mehr, daß der Begleiter des jungen Mädchens Michael Strogoff gewesen sei, daß eine geheime Mission, eine wichtige Depesche, die er durch das überfallene Gebiet zu besorgen

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