Der Courier des Czar
so drückend gewesen. Die Führer des Zuges hatten aber die gemessensten Befehle erhalten, auf dem kürzesten Wege nach Tomsk zu marschiren, denn der Emir mußte jede Stunde fürchten, in der Flanke gefaßt und von einer aus den nördlichen Provinzen herab dringenden russischen Colonne abgeschnitten zu werden. Die große sibirische Heerstraße berührte nun aber die Ufer des Tom nicht, wenigstens nicht mit dem Tracte zwischen Kolywan und dem nächsten kleinen, Zabediero genannten Flecken, – und von der Straße durfte nicht abgewichen werden.
Wir wollen uns nicht unnützer Weise bei den Leiden so vieler unglücklicher Gefangener aufhalten. Mehrere Hundert fielen auf der Steppe, wo ihre Leichen einfach liegen blieben, bis die vom Winter wieder hierher getriebenen hungrigen Wölfe den Rest ihrer Gebeine verzehrten.
So wie Nadia jeden Augenblick bei der Hand war, der alten Sibirierin helfend beizuspringen, so erwies auch Michael Strogoff, da er sich frei bewegen konnte, seinen schwächlicheren Leidensgefährten alle unter diesen Verhältnissen möglichen Dienste. Er sprach den Einen Muth zu, unterstützte die Anderen, schonte sich selbst nach keiner Seite, ging ab und zu, bis ihn die Lanze eines Reiters zwang, den ihm in seiner Reihe angewiesenen Platz wieder einzunehmen.
Weshalb versuchte er nicht zu fliehen? – Weil jetzt sein Entschluß fest stand, sich nicht eher in die Steppe hinaus zu wagen, als bis sie ihm die nothwendige Sicherheit böte. Er hatte sich nun einmal vorgenommen, »auf Unkosten des Emirs« bis Tomsk zu gelangen, und wählte hiermit wohl auch den besten Theil. Wenn er die zahlreichen kleinen Abtheilungen berücksichtigte, welche die Ebene auf beiden Seiten des Zuges, bald im Süden und bald im Norden umschwärmten, so mußte er zu der Ueberzeugung gelangen, daß er gewiß kaum zwei Werst vorwärts gekommen wäre, ohne von diesen wieder aufgegriffen zu werden. Ueberall schwärmten die Tartarenreiter umher und schienen manchmal aus der Erde hervor zu kommen, wie die lästigen Insecten, welche nach einem Platzregen den Boden bedecken. Uebrigens schien ein Fluchtversuch unter den obwaltenden Verhältnissen sehr schwer, wenn nicht ganz unausführbar. Die escortirenden Soldaten wachten mit äußerster Strenge, denn für eine erwiesene Nachlässigkeit stand ihr eigener Kopf auf dem Spiele.
Am 15. August erreichte der Zug mit sinkendem Tage endlich den kleinen Flecken Zabediero, etwa dreißig Werft von Tomsk. Hier vereinigte sich die Straße mit dem Laufe des Tom.
Gern wären die Gefangenen zuerst nach dem Wasser des Flusses geeilt, ihre Wächter gestatteten ihnen aber nicht eher aus den Reihen zu treten, als bis ein provisorisches Lager eingerichtet war. Trotz der zu jener Zeit gerade überaus heftigen Strömung des Tom hätte der Fluß doch die Flucht einiger Wagehälse oder Halbverzweifelter begünstigen können, weshalb die sorgsamsten Vorsichtsmaßregeln getroffen wurden. Auf den Fluß verlegte man eine Reihe aus Zabediero requirirter Boote, die eine Kette unmöglich zu durchbrechender Hindernisse bildeten. Die Außenlinie der an die ersten Häuser des Städtchens gelehnten Lagerstätte umschloß dagegen ein lückenlos dichter Cordon von Feldwachen.
Wenn Michael Strogoff auch einen Augenblick daran denken mochte, sich von hier aus in die Steppe zu flüchten, so sah er doch, nachdem er sich über die Sachlage unterrichtet, leicht ein, daß unter diesen Verhältnissen jeder Fluchtversuch unmöglich sei, und beschloß, sich in Geduld zu fassen, um nicht Alles auf’s Spiel zu setzen.
Die Gefangenen lagerten die ganze Nacht über an den Ufern des Tom. Der Emir hatte den Befehl erlassen, seine Truppen am folgenden Tage nach Tomsk hinein zu führen. Dort sollte die Verlegung des Hauptquartiers nach jener wichtigen Stadt durch ein großes militärisches Fest gefeiert werden. Feofar-Khan residirte schon in dem Fort derselben, während das Gros der Armee vor den Mauern bivouakirte, um vereint mit der nachfolgenden Abtheilung einen imposanten Einzug zu halten.
Iwan Ogareff hatte den Emir in Tomsk gelassen, woselbst Beide am Tage vorher eingetroffen waren, und war nach dem Lager von Zabediero zurück gekehrt. Von dort wollte er am folgenden Tage mit der Arrièregarde des tartarischen Herres aufbrechen. Zu seinem Nachtquartier fand er daselbst ein eigenes Haus vorgerichtet. Mit Sonnenaufgang setzte sich die Infanterie und Cavallerie der Truppe unter seinem Befehle nach Tomsk in Bewegung, wo der Emir Alle
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