Der Courier des Czar
mit dem bei den asiatischen Souveränen gebräuchlichen Pompe empfangen wollte.
Nach Organisirung des Lagers durften die von den drei Marschtagen auf’s Aeußerste erschöpften Gefangenen endlich ihren quälenden Durst löschen und einige Ruhe genießen.
Schon war die Sonne untergangen und der Horizont nur noch durch ein schwaches Dämmerlicht erhellt, als Nadia, am Arme Marfa Strogoff, am Ufer des Tom anlangten. Beide hatten vorher die dichten Massen der Verschmachteten, welche das Flußufer umdrängten, nicht zu durchbrechen vermocht, und kamen jetzt erst dazu, sich einen erfrischenden Trank zu erobern.
Die alte Sibirierin beugte sich erschöpft über das Wasser, Nadia schöpfte daraus mit ihrer Hand und führte diese an Marfa’s Lippen. Dann erst erquickte sie sich auch selbst. Die bejahrte Frau und das junge Mädchen tranken ein neues Leben aus den wohlthätigen Fluthen.
Da wandte sich Nadia, eben als sie das Ufer wieder verlassen wollten, plötzlich um. Ein unwillkürlicher Aufschrei entrang sich ihren Lippen.
Michael Strogoff war da, nur wenige Schritte von ihr!
Ja, er war es! Das letzte Tageslicht fiel auf ihn.
Michael Strogoff erzitterte wohl bei jenem Schrei … Er gewann aber genug Herrschaft über sich, um nicht ein Wort hören zu lassen, das ihn hätte compromittiren können.
Man trieb sie wie eine Heerde Vieh vor sich her. (S. 244.)
Gleichzeitig mit Nadia hatte er auch seine Mutter erkannt! …
Tiefbewegt von diesem unerwarteten Zusammentreffen drückte Michael Strogoff, um seiner Herr zu bleiben, die Hand vor die Augen und entfernte sich.
Die alte Sibirierin beugte sich erschöpft über das Wasser. (S. 247.)
Nadia wollte instinctiv auf ihn zueilen, die alte Sibirierin aber hielt sie zurück und raunte ihr in’s Ohr:
»Bleib hier, meine Tochter!
– Er ist es! entgegnete Nadia mit vor Erregung unterdrückter Stimme. Er lebt, Mutter! Er ist es!
– Ja, es ist mein Sohn, bestätigte Marfa Strogoff, das ist Michael Strogoff, und Du siehst, daß ich keinen Schritt zu ihm hin thue. Folge mir darin, meine Tochter!«
Michael Strogoff war eine Beute der tief innerlichsten Bewegung, die wohl je ein Mann empfinden kann. Er wußte seine Mutter und Nadia hier. Diese beiden Gefangenen, welche vereint in seinem Herzen wohnten, hatte der Himmel zu gemeinschaftlichem Unglück zusammengeführt. Wußte Nadia nun, wer er war? Nein, denn er hatte Marfa Strogoff’s Handbewegung bemerkt, mit der sie jene zurückhielt, als sie auf ihn zueilen wollte. Marfa Strogoff hatte Alles durchschaut und sein Geheimniß bewahrt.
Zwanzigmal während dieser Nacht stand Michael Strogoff auf dem Punkte, seine Mutter aufzusuchen, aber er sah immer wieder ein, daß er dem herzinnigen Wunsche widerstehen müsse, sie in seine Arme zu pressen und die Hand seiner jungen Gefährtin zu drücken. Die geringste Unklugheit konnte ihn ja verderben! Er hatte zudem geschworen, seine Mutter nicht zu sehen, und freiwillig wenigstens sollte es nicht geschehen. Einmal in Tomsk angekommen, wollte er, da es in dieser Nacht unmöglich war, hinausflüchten in die Steppe, ohne die beiden einzigen Wesen zu umarmen, an denen sein ganzes Leben hing und die er so vielen Gefahren ausgesetzt zurück ließ.
Michael Strogoff durfte also hoffen, daß dieses neue Zusammentreffen im Lager zu Zabediero weder für seine Mutter noch für ihn nachtheilige Folgen haben werde. Er wußte aber nicht, daß gewisse Einzelheiten dieser Scene, trotz ihres schnellen Verlaufes, von Sangarre, der Spionin Iwan Ogareff’s beobachtet wurden.
Auch die Zigeunerin befand sich nämlich am Ufer, wo sie wie immer die alte Sibirierin ohne deren Wissen argwöhnisch überwachte. Michael Strogoff, welcher schon verschwunden war, als sie sich umsah, konnte sie damals zwar nicht gewahr werden, die hastige Bewegung seiner Mutter aber, als sie Nadia zurückhielt, entging ihr nicht, und ein Aufleuchten in den Augen Marfa’s sagte ihr Alles.
Es stand ihr nun außer Zweifel, daß der Sohn Marfa Strogoff’s, der Courier des Czaren, sich in dieser Stunde in Zabediero, unter den Gefangenen Iwan Ogareff’s befinden müsse.
Sangarre kannte ihn nicht, aber sie wußte, daß er da war! Sie suchte ihn vorläufig also auch nicht zu entdecken, was bei der Dunkelheit und mitten in dieser zahlreichen Menschenmenge ohnehin unmöglich schien.
Auch eine weitere Beobachtung Nadia’s und Marfa Strogoff’s hielt sie für nutzlos. Offenbar würden die beiden Frauen äußerst
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