Der Dämon aus dem grünen See
einschlafen. Dass Linda so gelassen reagierte, beruhigte sie etwas. Morgen konnten sie sich dann ja immer noch überlegen, ob sie den Aufenthalt hier abbrechen würden.
Aber bis jetzt war ja nicht viel passiert. Eigentlich gar nichts, wenn man die Buchstaben auf dem Scrabblebrett nicht zählte. Und was konnte ein körperloser Geist sonst schon tun? Jedenfalls schien er ihnen ja nichts Böses zu wollen.
Hab keine Angst, bald werden wir zusammen sein.
Musste sie das beunruhigen? Wenn ein Geist mit ihr zusammen sein wollte, war das für sie nicht eher schädlich?
Na, immerhin wäre das dann mal ein Mann, den Marc nicht so leicht manipulieren kann, dachte sie. Wäre doch zur Abwechslung mal ganz nett.
Diese Vorstellung half ihr tatsächlich einzuschlafen, und diesmal schlief sie tief und traumlos bis zum nächsten Morgen.
„Es wäre ein Jammer, hier wegzufahren“, seufzte Linda, als sie beim Frühstück auf der Veranda saßen, nachdem Cassie die Maus unter einem Busch begraben hatte. „Ich weiß, ich werde meine Worte bereuen, wenn noch mal irgendwas Unheimliches passiert, aber schau dir das an – wollen wir uns hier wirklich so einfach vertreiben lassen?“
Sie deutete auf den See mit dem smaragdgrünen Wasser und auf ihren eigenen Sandstrand.
„Wir könnten Pia und Ken anrufen“, meinte Cassie. „Mal ganz unauffällig nachfragen, ob ihnen was aufgefallen ist oder so …“
„Na, und was dann? Sind die Ghostbuster oder so was?“
Cassie lachte. „Nein, ich glaube nicht. Obwohl Pia bestimmt 120 Kilo wiegt. Die würde einen aufdringlichen Geist einfach platt …“
Sie unterbrach sich, als plötzlich ein Motorengeräusch zu hören war.
„Das ging aber schnell. Oder hast du sie heute Morgen schon angerufen?“, fragte sie.
„Ich? Ich habe ja nicht mal die Nummer. Und kein Netz. Mein Handy funktioniert hier nicht.“
„Ach, stimmt ja. Vorne an der Straße geht es aber. Ich weiß noch, wie ich bei meinem letzten Aufenthalt hier ständig hin- und hergewandert bin, weil ich auf eine SMS von einem Typen gehofft habe, in den ich verknallt war, und dauernd hat … O nein. Nein, das glaube ich jetzt nicht!“ Cassie sprang auf.
„Was ist denn? Was hast du?“
Inzwischen war der Wagen in Sicht gekommen und näherte sich der Lichtung. Es war aber noch nicht zu erkennen, wer drinsaß.
„Ich hasse ihn! O verdammt, wie ich ihn hasse! Was erlaubt er sich eigentlich? Was denkt er, wer er ist?“, wütete Cassie.
„Hey, hey, beruhig dich. Was ist denn los mit dir?“ Linda stand ebenfalls auf und stellte sich neben Cassie ans Geländer. Als sie ihren Gesichtsausdruck sah, sagte sie: „O nein … ist das etwa Tom?“
„Tom?“ Cassie lachte bitter. „Nein, Süße, das ist Marc. Mein ‚großer‘ Bruder, der offenbar immer noch nicht begriffen hat, dass ich mit fast zwanzig durchaus fähig bin, selbst auf mich aufzupassen. Was, um alles in der Welt, will der hier?“
„Na ja, vielleicht ist was passiert – wie soll er dich denn sonst erreichen, wenn die Handys hier nicht funktionieren?“
Cassie hatte schon Luft geholt, um weiter zu schimpfen, doch Lindas Antwort nahm ihr kurz den Wind aus den Segeln.
„Ich wette mit dir um hundert Dollar, darum geht es nicht“, knurrte sie etwas leiser. „Aber du hast recht. Ich werde ihn erst reden lassen, bevor ich ihm den Hals umdrehe.“
Mit großen Augen sah Linda sie an. „Ich hatte ja keine Ahnung. Ich dachte immer … ich meine, früher hat er dich immer überall abgeholt, egal, wie spät es war; das fand ich süß von ihm. Und einmal hat er …“
„Jaja, ich weiß“, stöhnte Cassie. „Er ist ein ganz wunderbarer Bruder. Aber manchmal geht er mir einfach tierisch auf die Nerven. Jetzt zum Beispiel.“
Zähneknirschend sah sie zu, wie Marc den Wagen parkte, ausstieg und ihnen zuwinkte, bevor er auf die Veranda kam.
„Hi, Mädels“, sagte er. „Alles gut bei euch?“
„Bis gerade eben ging’s noch“, gab Cassie zurück. „Was ist passiert?“
„Passiert? Wieso, was soll passiert sein?“ Marc war mit seinen grünen Augen und den schwarzen Haaren, seinen gut durchtrainierten ein Meter achtzig und seiner coolen Art ein absoluter Frauenschwarm. Unzählige Mädchen hatten versucht, über Cassie an ihn heranzukommen, und sie hatte immer nur allzu gern nachgeholfen. Doch bis jetzt hatte alles nichts genützt.
Auch jetzt spürte sie, wie Linda neben ihr geradezu dahinschmolz, als Marc strahlend lächelte – dabei hatte sie gerade hundert
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