Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
Geld in einem Frühstücksrestaurant, während Bens Schwester im Kindergarten war. So war am Ende eines jeden Monats die Kasse immer leer und an Sonderausgaben (wie zum Beispiel für neue schicke Sportschuhe) nicht im Traum zu denken. Und dass ihm diese Tatsache allein das Schülerdasein zur Hölle machte, wollte und konnte Ben einfach nicht verstehen. Sollte es nicht eigentlich auf den Menschen statt auf dessen albernes Schuhwerk ankommen? Hatten Blender und Prahler ein ganzes Leben lang Vorfahrt? Offensichtlich ja. Denn wie wäre es ansonsten zu erklären, dass Ben so ziemlich für sich allein ohne Freunde dastand? Doch diese Gedanken behielt er wie immer für sich und sprach auch mit seinen Eltern nie darüber. Die hatten schon genug andere Sorgen.
Während er diesen und ähnlich finsteren Gedanken nachhing, hatte er nach knappen fünfzehn Minuten Fußmarsch die Haltestelle schließlich erreicht. Eine Masse an Schülern quetschte sich in den Linienbus Nummer 93, und Ben hatte den Eindruck, der ein oder anderen Schubser, den er im Gedränge einstecken musste, war pure Absicht und nur auf ihn gemünzt. Immerhin hatte er heute das unverschämte Glück, einen der raren und heiß begehrten Sitzplätze am Fenster zu ergattern. Neben ihm saß gnädigerweise eine ältere Dame mit einem Wust von bunten Einkaufstüten, so dass ihm die mögliche Nachbarschaft eines verhassten Klassenkameraden erspart blieb. Doppeltes Glück also, wenn man so wollte. Ein wenig entspannter als zuvor lehnte er sich zurück und schaute aus dem schmutzigen Fenster, als der Bus sich kurz darauf in Bewegung setzte. Und als dieser nach ein paar Metern in den Straßenverkehr einfädelte, sah Ben zu seinem Erstaunen erneut die beiden Zaungäste von vorhin. Dass es dieselben waren, daran bestand für ihn gar kein Zweifel. Die Zwillinge in ihrer seltsamen Aufmachung standen hamburgerkauend vor einer überfüllten Imbissbude und zeigten auf den vorbeifahrenden Bus der Linie 93. Bildete Ben sich das nur ein, oder meinten sie tatsächlich ihn damit und grinsten dabei wie die Honigkuchenpferde? Waren das etwa Psychopathen, Kidnapper, Massenmörder oder etwas Ähnliches? Das konnte doch unmöglich der Fall sein. Denn sowas gab es bekanntlich nur in hanebüchenen Kinofilmen oder zweitklassigen Kriminalromanen. Aber schließlich bog der betagte gelb-rote Bus um eine Kurve, und von den beiden Typen war bald nichts mehr zu sehen. Ereignislos verlief der Rest der Fahrt bis zur Haltestelle, an der Ben aussteigen musste. Nur noch ein paar Schritte und er war daheim. Das Wochenende konnte kommen.
Benjamin Engelbert Nebel (Einen ganz fürchterlicher zweiten Vornamen hatten sich seine Eltern da für ihn ausgedacht, meinte Ben seit jeher) war dreizehn Jahre jung, normal groß für sein Alter, eher ein wenig zu klein, und ziemlich schmal. Seine Mutter behauptete manchmal sogar, dass Ben so dünn sei, dass man durch ihn hindurchschauen könnte. Das stimmte natürlich nicht, aber ein, zwei Kilo mehr hätte sie schon gern auf seinen Rippen gesehen. Ben hatte dunkelbraunes, kurz geschnittenes Haar, graugrüne Augen und ein – wie er selbst behauptete – stinknormales und langweiliges Gesicht. Wenn man jedoch genau hinschaute, erschien Bens Nase vielleicht ein wenig krumm geraten zu sein. Das lag wohl daran, dass er bei seinem ersten (und bislang einzigen) Skateboardausflug vor ein paar Jahren ziemlich abrupt und noch dazu mit dem Gesicht gebremst hatte. Unfreiwillig, in Form eines üblen Sturzes, versteht sich. Ergebnisse dieser einmaligen Erfahrung waren ein zerbrochenes Skateboard und eine ebensolche Nase. Danach war sein Bedarf an gefährlichen Hobbies erschöpft gewesen. Außerdem behauptete er, seit diesem Unfall könnte er an einem Jucken seiner Nase erkennen, wenn Ärger oder Unangenehmes ins Haus stand.
Ben war ein stiller Junge ohne Freunde. Das war schon immer so gewesen, denn irgendwie passte er in keine Gruppe Gleichaltriger so richtig hinein. Zwar war er ganz gut in der Schule, aber er gehörte nicht zu den Strebern, die seiner Meinung nach neben der Schule noch stundenlang über Ihren öden Büchern hockten, die Wochenenden mit idiotischen Mathematikwettbewerben vergeudeten, politische Diskussionen führten und komische runde Brillen trugen. Auch zu den „Reichen und Schönen“, wie er die Söhne und Töchter wohlhabender Spießer-Eltern insgeheim nannte, passte er ganz sicher nicht. Um die Mitgliedschaft in diesem elitären Clubs zu erlangen,
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