Der Dämon, die Zeitmaschine und die Auserwählten (Zehn Namen) (German Edition)
musste man schon die Taschen voller Geld haben. Bens Taschen hatten bestenfalls Löcher. Bei den Sportskanonen hatte er allerdings ebenso keine Chance, denn, mal abgesehen vom Fußball, konnte ihm Sport im Allgemeinen und der Schulsport ganz besonders gestohlen bleiben. Für so einen sinnlosen Quatsch wie Golf oder Tennis hätte er nicht einmal Geld ausgegeben, wenn er welches besessen hätte. Blieben also nur noch die sogenannten Freaks und die Mauerblümchen, doch irgendwie wollte er weder mit blauen Haaren, grässlichen Tattoos oder entstellenden Piercings durch die Gegend laufen, noch zusammen mit der ewig grinsenden Maria vor gepflegter Langeweile umkommen. Aber nicht nur an den fehlenden Möglichkeiten lag es, dass Ben ein Einzelgänger war. Er selbst hatte im Laufe der Jahre mehr oder weniger Gefallen an seiner Rolle als Einsamer Wolf gefunden, denn so bezeichnete er sich insgeheim manchmal gerne selbst, ohne genau zu wissen, was das eigentlich bedeuten sollte. Hörte sich aber in seinen Ohren immerhin klasse an. Klar wäre er statt dessen wohl ganz gerne mit einem Haufen Geld in der Tasche durchs Leben gelaufen und hätte sich auch gerne mal auf einer Fete der Reichen und Schönen wiedergefunden, doch diese Türen waren ihm wie gesagt versperrt, und so hatte er sich zuletzt mit seinem Dasein ganz gut arrangiert. Seine einzigen Freunde waren die Mitglieder seiner kleinen Familie.
Da war sein Vater, Paul Nebel. Immer auf der Suche nach neuer Arbeit, doch dank seiner Behinderung selten nennenswert erfolgreich dabei. Die ganzen Nackenschläge hatten den Mann jedoch nie verbittern lassen, und er war immer ein freundlicher Zeitgenosse geblieben. Herr Nebel liebte seinen Sohn, und Ben liebte ihn. Diese Tatsache allein wog schon alle Gehaltsschecks der Welt auf. Genauso lieb war ihm seine Mutter. Ziemlich klein und rundlich war Doris Nebel das genaue Gegenteil ihres recht hoch aufgeschossenen, schlanken Ehemannes. Manchmal fühlte sich Ben vielleicht ein wenig zu sehr von ihr bemuttert (immerhin war er ja schon dreizehn), aber eigentlich gab's nach seiner festen Überzeugung auf der ganzen Welt keine bessere Mutter als die seine. Und auch Bens kleine Schwester Birgit war seine Freundin. Erst vier Jahre alt, aber so liebenswert und frech wie eine Große. Daher freute Ben sich auch einmal mehr auf ein schönes Wochenende im Kreis seiner Familie.
Ben schloss die Tür zur Wohnung im zweiten Stock auf, schmiss die Büchertasche achtlos in die eine Ecke, den Beutel mit den verhassten Sportsachen in eine andere und marschierte in sein Lieblingszimmer – in die gemütliche kleine Küche der Nebels. Dort saßen die übrigen Familienmitglieder beisammen am Tisch und begrüßten Ben mit fröhlichem Hallo.
„Na, hast du es endlich geschafft für diese Woche?“, wollte seine Mutter wissen.
„Und die Sportstunden ohne größere Verletzungen überlebt?“, fragte sein Vater.
„Spielst Du mit mir Ritterburg?“, war schließlich Birgits erwartungsfrohe Frage.
„Ja, ja und ja.“, antwortete Ben und grinste breit. „Aber erstmal hab ich einen Bärenhunger!“
Dabei brummte er laut und, wie er meinte, reichlich gruselig seine Schwester an. Die stieß eine spitzen Schrei aus und fiel fast vom Stuhl. Gleich darauf lachte sie laut los. Alle anderen lachten mit.
„Also dann: Hände waschen und an den Tisch gesetzt.“, forderte Bens Mutter ihn auf. „Es gibt Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Speck.“
Das ließ sich Ben natürlich nicht zweimal sagen, wusch seine Hände in Rekordzeit und nahm bald schon sein Lieblingsessen in Angriff.
Nach dem Freitagsfestschmaus wuschen alle gemeinsam das schmutzige Geschirr ab. Anschließend schleppte Birgit ihr absolutes Lieblingsspielzeug in die Küche: Ihre heiß geliebte Ritterburg. Zwar war das eher ein Spiel für Jungs (und tatsächlich gehörte die Burg auch einst Ben), doch das störte Birgit nicht im Geringsten. Zusammen mit Ben baute sie die aus etlichen Einzelteilen bestehende Ritterburg auf dem Küchentisch auf, während Doris und Paul Nebel im Wohnzimmer den Fernseher einschalteten. Das Erste zeigte die eher zaghaften Versuche der deutschen Leichtathleten, bei der Weltmeisterschaft die ein oder andere Medaille zu erringen. Vaters Interesse war geweckt, und Mutter gab sich der Lektüre ihres Bergdoktor-Herzschmerz-Romans hin. Beides nichts für Bens Geschmack: Wenn's kein Fußball war, konnte ihn eine Sportübertragung nicht vor den Fernseher locken.
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